Feministische Gegenöffentlichkeiten im Fußball sind zugleich Räume der Teilhabe, des Ausschlusses, der Doppelbelastung, einer Care- und zugleich Widerspruchspraxis. Wo männlich konnotierte Normen (Sprechchöre, Humor, Risikopraktiken, Gremienkultur) dominieren, entstehen nach und nach etablierte/eigenständige alternative Arenen – vom Awareness‑Team bis zur Spielerinnen‑Liga –, die Sichtbarkeit schaffen, Übersetzungsarbeit leisten und Machtverhältnisse irritieren (Fraser 1990; Benhabib 1992).
Von Habermas‑Tradition übernehme ich die regulative Idee: Öffentlichkeit soll zugänglich, respektvoll und begründungspflichtig sein. Feministische Kritik zeigt, dass reale Arenen diese Normen oft geschlechtlich selektiv erfüllen – Care‑Arbeit und Doppelbelastungen (zwei Karrieren) bleiben unsichtbar, Gatekeeping wirkt subtil, Risiken werden ungleich verteilt. Deshalb denke ich mit Fraser in multiplen (Gegen‑)Öffentlichkeiten, in denen marginalisierte Gruppen eigene Agenden und Rationalitäten ausbilden (Fraser 1990; Fraser 2009). Mit Benhabib fokussiere ich „Modelle des öffentlichen Raums“ – wer spricht wo, in welchem Format, mit welchem Adressatenkreis (Benhabib 1992). Und mit Ahmed lese ich Affekte als politische Ökonomie von Nähe/Distanz, Scham/Stolz, Euphorie/Angst (Ahmed 2014).
1) Arenen feministischer Gegenöffentlichkeiten im Fußball
- Spielfeld: Frauen‑ und Mädchenfußball als Gegenraum zur „Norm“ männlicher Leistungslogiken; Kämpfe um Ressourcen, Spielorte, Anstoßzeiten.
- Kurve: Fanclubs/Netzwerke von Frauen und Queers, Awareness‑Teams, safer spaces im Block; Aushandlungen um Gesangs‑/Humornormen.
- Vereinsorganisation: Quoten, Gender‑Budgeting, Gleichstellungsstatuten, Schutzkonzepte; Einfluss auf Kaderplanung, Ticketing, Kommunikation.
- Medien: Sichtbarkeit weiblicher Akteurinnen; Verschiebungen in Tonalität/Bildsprache; Gegenformate (Podcasts, Fanzines) als Übersetzungsstellen (Cooky & Messner 2018; Cooky, Messner & Musto 2015).
2) Mechanismen: Wie feministische Gegenöffentlichkeiten wirken
- Care‑Infrastrukturen: Awareness‑Konzepte, Meldesysteme, Kinder‑/Familienzonen → Sicherheit & Zugehörigkeit.
- Übersetzungsarbeit: Brückenpersonen zwischen Kurve, Verein, Verband; „Policy‑Schleusen“ (Fanräte, Gleichstellungsbeauftragte).
- Affekt‑Politik: Stolz (Vorbildwirkung), Scham (sexistische Vorfälle), Angst (Sicherheitslage) strukturieren Beteiligung (Ahmed 2014).
- Backlash‑Schleifen: Sichtbarkeit erzeugt Gegenmobilisierung (Online‑Shitstorms, Gatekeeping in Kurven) → Bedarf an Resonanz‑Allianzen (Männerbünde, die bewusst solidarisch handeln).
- Kooptation/Tokenism: Diversity‑Kampagnen ohne Ressourcenverschiebung → Symbolpolitik statt Parität.
3) Operative Toolbox (Grounded‑Theory‑tauglich)
Indikatoren
- Struktur: Frauenanteile in Vorstand/Leitung/Trainer:innenstab; Budgetanteile Frauen‑/Mädchenfußball; Quote von Awareness‑Einsätzen.
- Zugang & Sicherheit: Ticket‑/Wege‑/Sanitär‑Indikatoren; Meldesysteme (Nutzung, Bearbeitungszeiten, Outcomes); Stadion‑Heatmaps zu Vorfällen.
- Kultur & Medien: Anteil weiblicher/queerer Stimmen in Vereinsmedien; Bildsprache‑Audits; Tonalitätsanalyse von Berichten/Posts.
- Performanz: Präsenz und Dichte frauengeführter Fanclubs; Banner‑/Choreo‑Anteil; Reichweite entsprechender Podcasts.
Hypothesen (prüfbar)
- H1: Institutionalisierte Care‑Infrastrukturen korrelieren mit höherem Anteil weiblicher Stadionbesucherinnen.
- H2: Quoten & Gender‑Budgeting erhöhen die Umsetzung feministischer Anliegen in offiziellen Gremien.
- H3: Sichtbarkeitsanstiege ohne Ressourcennachzug erhöhen Backlash‑Wahrscheinlichkeit.
4) Policy‑Hebel (vereinbar mit Sicherheit & Wirtschaftlichkeit)
- Verbindliche Schutzkonzepte (Antisexismus, Meldeketten, Sanktionen) mit jährlichem Transparenzbericht.
- Ressourcenparität: Mindestbudgets, Trainingszeiten und Infrastruktur für Frauen‑/Mädchenfußball; Equal‑Facilities statt nur Equal‑Pay‑Debatte.
- Gremienparität: Zielquoten, Nachrücklisten, Schulungen; Agenda‑Checks zu jeder Vorstandsvorlage.
- Event‑Design: familienfreundliche Slot‑Planung, gebündelte Spieltage (Frauen/Männer), „Ticket‑Kopplungen“ ohne Kannibalisierung.
Forschungstagebuch
Ich halte fest, wie ich zwischen Kurve (Alltagsnormen) und Konferenzraum (Statuten, Budgets) pendle. In einer Sitzung zur Spieltagsorganisation spüre ich die Reibung zwischen Sicherheits‑ und Care‑Logiken: Ein Awareness‑Team fordert eine Hotline mit 24/7‑Nachsorge; die Leitung sieht „kein Budget“. Ich protokolliere, wie Übersetzungsarbeit gelingt, wenn Zahlen (Vorfall‑Heatmaps) und Stimmen aus der Kurve zusammengeführt werden – und ich übe mich darin, zuzuhören, bevor ich theoretisiere.
Leitfragen
- Welche Schleusen verbinden feministische Gegenöffentlichkeiten mit Vereins‑/Verbandsarenen – und wo hakt es?
- Wo sind Care‑Infrastrukturen sichtbar (und finanziert) – und wo bleiben sie symbolisch?
- Wie lassen sich Backlash‑Risiken verringern, ohne Gegenöffentlichkeiten zu domestizieren?
- Welche Kombination aus Quoten, Budgets und Schutz schafft Partizipations‑Parität?
Literatur (APA)
- Ahmed, S. (2014). The Cultural Politics of Emotion (2nd ed.). Edinburgh University Press.
- Benhabib, S. (1992). Models of public space. In C. Calhoun (Hg.), Habermas and the Public Sphere. MIT Press.
- Cooky, C., & Messner, M. A. (2018). No Slam Dunk: Gender, Sport, and the Unevenness of Social Change. Rutgers University Press.
- Cooky, C., Messner, M. A., & Musto, M. (2015). „It’s dude time!”: A quarter century of excluding women’s sports in televised news and highlight shows. Communication & Sport, 3(3), 261–287. SAGE.
- Fraser, N. (1990). Rethinking the public sphere: A contribution to the critique of actually existing democracy. Social Text. Duke University Press.
- Fraser, N. (2009). Scales of Justice: Reimagining Political Space in a Globalizing World. Columbia University Press.
- Hargreaves, J. (1994). Sporting Females: Critical Issues in the History and Sociology of Women’s Sport. Routledge.

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