Fußball wird hier als öffentliche Arena gedacht, in der um Deutungshoheit, Zugehörigkeit und Anerkennung gerungen wird. Wo offizielle Vereinskommunikation und Medienformate dominieren, entstehen zugleich Gegenöffentlichkeiten – in Kurven, Fanzines und digitalen Netzwerken – die andere Stimmen hörbar machen (Habermas 1962/1990; Fraser 1990).
Hinführung
Habermas’ Leitidee einer bürgerlichen Öffentlichkeit beschreibt einen Raum, in dem Angelegenheiten allgemeinen Interesses unter Bedingungen von Zugang, Begründungspflicht und Respekt verhandelt werden (Habermas 1962/1990). Kritiken – insbesondere von Fraser – zeigen, warum es nie die eine Öffentlichkeit gibt, sondern multiple, teils subalterne Gegenöffentlichkeiten, in denen marginalisierte Gruppen eigene Agenden und Rationalitäten ausbilden (Fraser 1990). Für den Fußball heißt das: Stadien, Vereinsmedien, Fankurven und Plattformen sind verschachtelte Öffentlichkeiten – unterschiedlich geregelt, ungleich zugänglich, affektiv aufgeladen (Negt & Kluge 1972/1986; Warner 2002).
Organisatorisch lese ich Gegenöffentlichkeiten mit Debra Minkoff: Wirkung braucht Träger, Dichte und Gelegenheitsstrukturen – genau die Parameter, die wir im Feld (Fanprojekte, QFF, Kurvenbünde) empirisch prüfen (Minkoff 1995; Minkoff 1997).
Thematische Abschnitte
Öffentliche Arenen im Fußball (Überblick)
Stadion‑, Vereins‑ und Plattform‑Öffentlichkeit folgen je eigenen Logiken (Diskurs/Regel vs. Affekt/Performanz vs. Aufmerksamkeit/Algorithmik). Ich nutze diese Dreiteilung als Heuristik für das gesamte Kapitel (Habermas 1962/1990; Warner 2002).
Vorschau auf 3.3.1–3.3.5
- 3.3.1 Konzept der Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit – präzise Begriffsarbeit, normative Leitidee, Kritik und Pluralisierung (Fraser 1990).
- 3.3.2 Soziale Gegenöffentlichkeiten – Gentrifizierung vs. Ultra‑Stehplatzkultur: Raum, Preis, Safe‑Standing, Kurvenethiken.
- 3.3.3 Migrantische Gegenöffentlichkeiten – Diaspora als Inklusions‑ und Exklusionsmoment: Übersetzung, Symbolpolitik, Pricing.
- 3.3.4 Feministische Gegenöffentlichkeiten – von Spielerinnen bis Vereinsführung: Awareness, Care‑Ethik, Quoten, Backlash‑Risiken.
- 3.3.5 Queere Gegenöffentlichkeiten – Sichtbarkeit, Gefährdung, Unsichtbarkeit; Organisationsdichte und Schutzräume (Minkoff 1995).
Forschungstagebuch
Ich reflektiere meine Positionalität als Forscher im Spannungsfeld von Kurve und Konferenzraum: In Vereinsrunden höre ich die Sprache der Legitimation (Sicherheit, Wirtschaftlichkeit); in Fangesprächen die Erfahrung von Zugehörigkeit, Ausschluss und Care. Methodisch arbeite ich mit Grounded Theory (offen → axial → selektiv) und mappe Teil‑Öffentlichkeiten (Blöcke, Foren, Kanäle) samt Übersetzungsstellen (Fanräte, Awareness‑Teams). Erste Memos zeigen: Gegenöffentlichkeiten sind nicht „irrational“, sondern anders rational – mit körperlichen, situativen und affektiven Begründungsstilen.
Leitfragen
- Wo liegen im/um den Club die relevanten Teil‑Öffentlichkeiten – und wie interagieren sie?
- Welche Zugangsregime (Preis, Wege, Sprache) öffnen/schließen?
- Wie koppeln Fanprojekte und Queer‑/Frauen‑Netzwerke Gegenöffentlichkeiten an Vereins‑ und Verbandsarenen?
- Wann kippt Sichtbarkeit in Vermarktung – und wie lässt sich das empirisch zeigen (Korrekturen, Ressourcen, Policies)?
- Welche Affektketten (Stolz, Wut, Scham, Fürsorge) stabilisieren Zugehörigkeit – und wo zeigen sich Brüche?
Literatur
- Habermas, J. (1990 [1962]). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Suhrkamp.
- Habermas, J. (2022). Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik. Suhrkamp.
- Fraser, N. (1990). Rethinking the public sphere: A contribution to the critique of actually existing democracy. Social Text.
- Warner, M. (2002). Publics and counterpublics. Zone Books.
- Minkoff, D. C. (1995). Organizing for equality: The evolution of women’s and racial‑ethnic organizations in America, 1955–1985. Rutgers University Press.
- Minkoff, D. C. (1997). The sequencing of social movements. American Sociological Review.
- Negt, O., & Kluge, A. (1972/1986). Öffentlichkeit und Erfahrung. Suhrkamp.

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