5.4.6 Habermas/Fraser: Exklusion & Inklusion in der Subkultur

Ausgangspunkt: Öffentlichkeit ist nie neutral

Fußball-Fankultur ist eine große öffentliche Sphäre im Kleinen des Fußball-Kosmos – mit eigenen Regeln, Einschlüssen und Ausschlüssen. In der Tradition von (Habermas 1962) ist „Öffentlichkeit“ eine soziale Infrastruktur, die Zugangsvoraussetzungen und Geltungsansprüche ordnet. Später hat Habermas diese Perspektive angesichts digitaler Medien und fragmentierter Diskurse aktualisiert (Habermas 2022). Für mein Feld heißt das: Kurven, Foren, Pubs und Timelines sind regulierte Räume, keine romantischen Freiflächen.

Fraser: Gegenöffentlichkeiten statt Einheitsöffentlichkeit

(Fraser 1990) kritisiert die Idee einer einzigen, inklusiven Öffentlichkeit und zeigt, wie „subalterne Gegenöffentlichkeiten“ (z. B. feministische Szenen) Alternativen schaffen, in denen marginalisierte Gruppen eigene Deutungen entwickeln. Später öffnet sie den Blick transnational – mehrere, verschachtelte Öffentlichkeiten mit unterschiedlichen Macht- und Übersetzungsproblemen (Fraser 2007). Für Fußball heißt das: Subkulturen (Ultras, Fanzines, LGBTQ*-Fangruppen) sind notwendige Gegenräume, keine Störung des Betriebs.

Fußball als Öffentlichkeitslabor: Wer spricht? Wer passt?

Drei typische Exklusionsmechanismen:

  1. Zugangsschwellen (Ticketpreise, Memberships, Dresscodes) – formelle und informelle Hürden.
  2. Diskursnormen (wer gilt als „echter Fan“?) – Gatekeeping durch Humor, Insiderwissen, Männlichkeits-Codes.
  3. Infrastrukturen (Stadionsegregation, „sichere“ Sektoren, Moderationsregeln online) – räumlich-digitale Sortierung.
    Gegenbewegungen entstehen, wenn Fankollektive eigene Öffentlichkeiten ausbilden: Choreos, Fanzines, Podcasts, Pride-Aktionen. Diese Dynamiken habe ich bereits in meinem Beitrag „Queere & feministische Gegenöffentlichkeiten“ und in „Affektfreie Überwachung vs. spontane Ekstase“ analytisch vorbereitet.

Inklusionsdesign: Was folgt normativ?

Wenn ich Habermas’ Legitimitätsansprüche (Zugang, Deliberation, Begründungspflichten) mit Frasers Pluralisierung verbinde, ergibt sich ein Inklusionsdesign für Fanräume:

  • Mehrere Arenen zulassen (Kurve, Familienblock, Queer-Sektor, Online-Foren) – legitime Vielzahl statt Einheitskurve.
  • Übersetzungsstellen schaffen (Fanräte, Moderationsteams), die zwischen Teilöffentlichkeiten vermitteln.
  • Zugangsbarrieren senken (Solidar-Tickets, Safe-Standing, kinderfreundliche Zonen) – sonst wird „Öffentlichkeit“ zur Klassefrage.
    So wird Subkultur nicht „assimiliert“, sondern gehört – im Sinne deliberativer und pluraler Öffentlichkeit (Calhoun 1992; Fraser 2007).

Forschungstagebuch

Ich merke im Feld, wie Gegenöffentlichkeiten performativ sichtbar werden: in Spruchbändern, Choreo-Frames, Hashtags. In Interviews berichten weibliche und queere Fans, wie eigene Räume Sicherheit und Stimme geben – und zugleich Debatten in die Hauptöffentlichkeit tragen. Nächster Schritt: Mapping von Mikro-Öffentlichkeiten (Kurvenblöcke, Fanmedien) und ihrer Übersetzungskanäle in Vereins- und Verbandspolitik.

Leitfragen

  • Welche Teilöffentlichkeiten strukturieren Fankultur vor Ort und online – und wie interagieren sie?
  • Wo liegen Übersetzungsprobleme (z. B. zwischen Ultra-Jargon und Vereinskommunikation)?
  • Welche Design-Entscheidungen (Sektoren, Ticketpolitik, Moderation) fördern Inklusion, ohne Gegenöffentlichkeiten zu neutralisieren?

Literatur (APA)


Entdecke mehr von Fußball-Soziologie

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert