Teaser
Die Fankultur um den IFK Göteborg scheint von skandinavischen Gleichheitsnormen geprägt: Hohe Erwartungen an Fairness, niedrige Toleranz für Diskriminierung, starke Alltagspraktiken der Inklusion – und zugleich ambivalente Effekte der Kommerzialisierung. Mich interessiert, wie sich Gendergleichheit und soziale Gleichheit im Stadionalltag materialisieren und welche Affekte Zugehörigkeit, Konflikt und Grenzen strukturieren (Esping-Andersen 1990; Rothstein 2005).
Hinführung
Mein Ausgangspunkt: In Schweden sind Gleichheitsansprüche nicht bloß politische Parolen, sondern kulturelle Hintergrundannahmen. Im Fußball bedeuten sie: andere Erwartungen an Sicherheit, Sprache, Zugänge – von Familienblöcken bis Awareness-Praxen. Ich prüfe, wie IFK Göteborg diese Normen übersetzt: in Choreos, Kurvenrituale, Kommunikationscodes, Ticketpolitik und Community-Arbeit. Theoretisch rahme ich das mit Wohlfahrtsregimetheorie (Esping-Andersen 1990), Vertrauensforschung (Rothstein 2005) und Genderordnung (Hirdman 1990), ergänzt um Affekt/Resonanz (Rosa 2016) und Gegenöffentlichkeit (Fraser 1990) für konflikthafte Teilräume.
Gleichheit als Affektökonomie
- Fairness als Gefühl: „Gerechtigkeit“ wird gefühlt – als Stolz, Ärger, Scham. Entscheidungen von Schiedsrichter:innen, Clubpolitik oder Fanverhalten werden moralisch bewertet; daraus entstehen Bindungen („so sind wir“) und Grenzen („so nicht“).
- Resonanz statt Dominanz: Teilhabe- und Sicherheitspraktiken (inklusive Ansprache, niedrigschwellige Meldestrukturen) erhöhen Ansprechbarkeit – Fans erleben sich als gesehen und ernst genommen (Rosa 2016).
- Ironie & Selbstdisziplin: Humor zügelt Überhitzung, ohne Konflikte zu kaschieren; ich teste, wann Ironie integriert und wann sie entwertet (Simmel 1992).
Gendergleichheit in der Praxis
- Sichtbarkeit & Sprache: genderinklusive Ansprache, Pride-/Gleichheitssymbole, Vorbildfiguren im Vereinsumfeld; ich prüfe, wie häufig und wie wirksam diese Praktiken im Stadionalltag auftauchen.
- Zugänge & Sicherheit: Familien-/Ruhebereiche, Codices gegen Sexismus/Homofeindlichkeit, Meldewege – entscheidend ist, ob sie bekannt und niedrigschwellig sind.
- Rollen im Wandel: Männlich konnotierte Habitusformen (Härte, Durchhalten) werden irritiert; Care (Sorge um andere, „aufschauen statt anbrüllen“) wird sichtbar – nicht konfliktfrei, aber stabilisierend.
Soziale Gleichheit & Stadtgesellschaft
IFK Göteborg steht im Gefüge einer verhältnismäßig egalitären Stadtgesellschaft: Vereinsarbeit, Schulen, Quartiere, Amateurclubs, Kultur. Diese Verflechtungen erzeugen breite Kontaktzonen – aber auch Reibungen, wenn ökonomische Zwänge oder sportliche Krisen die Gleichheitsnormen unter Druck setzen (Fraser 1990).
Ambivalenzen
- Marke vs. Moral: „Gleichheit“ lässt sich vermarkten – kippt Haltung in Marketing, sinkt Resonanz.
- Gatekeeping durch Codes: Wer die „richtige“ Sprache/Zeichen nicht teilt, fühlt sich schnell falsch – auch Gleichheitskulturen können ausschließen.
- Leistung vs. Teilhabe: Sportliche Ziele und wirtschaftlicher Druck konkurrieren mit Inklusionsansprüchen; ich suche Negativfälle, in denen Teilhabe erodiert.
Methodenfenster: Material & Kodierung
- Material: Spielanalysen (Heim/Auswärts), Presseschau (lokal/national), leitfadengestützte Interviews (Ultras, aktive Fans, Familienblöcke, queere Gruppen, Vereinsumfeld), Fanzines, Social Media.
- Sampling: maximal kontrastierend; Nachsteuerung nach jeder Kodierwelle (Charmaz 2014).
- Kodierung: offen → axial → selektiv; Memos zu „Fairnessaffekt“, „Care-Praktiken“, „Marketingbruch“, „Resonanzfenster“.
- Qualität: Audit-Trail, Negativfall-Suche, Theorie-Mapping (Wohlfahrtsstaat/Gender/Resonanz/Gegenöffentlichkeit).
Forschungstagebuch
Heute habe ich eine Bildserie aus dem Familienblock mit Interviews aus der aktiven Fanszene verglichen. Offen tauchten „Fairnessstolz“ und „Care-Blicke“ auf; axial verknüpfte ich sie mit „Meldewegen“ und „Humor als Deeskalation“. Ein Interview irritiert: „Gleichheit klingt gut, aber im Block zählt Lautstärke.“ Das wird mein erster Negativfall zur These, dass Inklusion automatisch Bindung vertieft. Nächster Schritt: Kontrastfall Auswärtsfahrt plus Social-Media-Thread zum selben Spieltag.
Leitfragen
- Wann erzeugen Gleichheitsnormen Resonanz – und wann wirken sie wie Pflichtübung?
- Welche Praktiken (Sprache, Symbole, Meldewege) sind im Stadionalltag tatsächlich wirksam?
- Wo schiebt Kommerzialisierung Gleichheit in die PR-Schiene – mit welchem Effekt auf Bindung?
- Wie verändert Humor/Ironie die Balance zwischen Lautstärke, Sichtbarkeit und Sicherheit?
- Welche Negativfälle relativieren die Annahme, dass Gleichheit immer Zugehörigkeit stärkt?
Literatur & Links (APA
- Charmaz, K. (2014). Constructing Grounded Theory (2nd ed.). Sage. → Constructing Grounded Theory
- Esping-Andersen, G. (1990). The Three Worlds of Welfare Capitalism. Polity. → The Three Worlds of Welfare Capitalism
- Fraser, N. (1990). Rethinking the public sphere: A contribution to the critique of actually existing democracy. Social Text, 25/26, 56–80. → Rethinking the public sphere: A contribution to the critique of actually existing democracy
- Hirdman, Y. (1990). The gender system: Reflections on the social subordination of women. Tidsskrift för genusvetenskap (frühe Fassung; referenziert in späteren Sammelbänden). → The gender system
- Rothstein, B. (2005). Social Traps and the Problem of Trust. Cambridge University Press. → Social Traps and the Problem of Trust
- Rosa, H. (2016). Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp. → Resonanz
- Simmel, G. (1992). Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung (Erstausg. 1908). Suhrkamp. → Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung

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