2.2.3.16 Rosa: Resonanz und Affektbeziehungen

Teaser

Hartmut Rosa auf die Kurve angewandt lässt mich an den Begriff Rhythmus denken. Resonanz heißt, dass Welt und Subjekt sich wechselseitig rufen und antworten – nicht als Harmonie, sondern idealerweise als gelingende Berührung. Im Fußball entstehen solche Achsen der Resonanz zwischen Menschen, Dingen (Trommeln, Fahnen), Räumen (Tribüne) und Zeiten (Rituale). Genau deshalb erleben Fans den Block als lebendig – und schmerzen Störungen innerhalb und außerhalb des Blocks so heftig (Rosa 2016).

Hinführung

Rosas Theorie verbindet zwei Gedankenlinien:

(1) Beschleunigung moderner Lebensführung erzeugt Entfremdung.

(2) Und Resonanz ist eine gelungene Antwortbeziehung. (Rosa 2005; 2016). Ich knüpfe an unsere Kapitel zu Weber (Zweckrationalisierung), Goffman (Vorder-/Hinterbühnen) und Habermas/Fraser (Gegenöffentlichkeit) an: Kurven sind Resonanzräume, aber niemals voll disponierbar – sie bleiben unverfügbar (Rosa 2018). Das ist ihr Zauber und ihre Zumutung.

Resonanzachsen im Stadion

  • Sozialachse: Chor, Blick, Nachbarschaft; „Wir“ entsteht im Antworten – Ruf & Gegenruf, Call & Response.
  • Dingachse: Trommel, Megafon, Zaunfahne, Schal – Dinge tragen, bündeln, vermitteln Affekte.
  • Raumachse: Stehplatz, Kurvenarchitektur, Akustik; Räume bieten Widerhall oder schlucken ihn.
  • Zeitachse: Rituale (Einlauf, 60./90. Minute), Saisonrhythmen, Traditionsdaten – Wiederholung schafft Erwartung und Tiefe.
  • Natur/Leib: Wetter, Kälte, Körperdichte – Affekt wird verkörpert (Rosa 2016).

Unverfügbarkeit & Steuerungsfantasien

Vereine, Medien, Sicherheitsregime versuchen, Stimmung planbar zu machen (Marketing, Licht, Sound). Vieles funktioniert, aber Resonanz bleibt nicht voll steuerbar – manchmal „zündet“ ein Spiel ohne Anlass, manchmal verpufft alles (Rosa 2018). Hier trifft Rosas Unverfügbarkeit auf Webers Zweckrationalisierung: Wir können Rahmen bauen, aber Antwort erzwingen wir nicht.

Affektatmosphären

Mit Anderson lese ich Kurven als affektive Atmosphären: nicht „in mir“ oder „in dir“, sondern zwischen uns – verdichtet durch Rhythmus, Nähe, Materialität (Anderson 2009). Ahmed erinnert daran, dass Affekte zirkulieren und Körper markieren – Zugehörigkeit und Ausschluss liegen dicht beieinander (Ahmed 2004). Resonanz ist darum auch politisch: Wer darf antworten? Wessen Stimme zählt?

Praxis: Resonanz ermöglichen

  • Rituale pflegen, Routinen prüfen: Vertrautes gibt Halt (ontologische Sicherheit), aber starre Routinen dämpfen.
  • Material & Raum kuratieren: Akustik, Sichtachsen, barrierearme Wege – Dinge als Resonanzverstärker.
  • Gegenöffentlichkeiten einbinden: Fanprojekte, queere Fanklubs, Familienbereiche – mehrstimmige Antwortgemeinschaften.
  • Medien klug koppeln: Live-Momente respektieren; Clips als Nachhall, nicht als Ersatz.

Forschungstagebuch (kurz)

In meinen Notizen zu einem Abendspiel: Erst ist der Block „kalt“. Ein kurzer, unerwarteter Pressball – plötzlicher Ruf; ich spüre, wie aus einzelnem Klatschen ein Puls wird. Die Trommel nimmt es auf, der Capo verschiebt das Tempo – Antwort. Später frage ich mich: Warum hier? Mein Fazit: Die Achsen lagen bereit; das Ereignis hat sie nur gekoppelt.

Leitfragen

  • Welche Achsen (sozial, dinglich, räumlich, zeitlich) tragen die Resonanz meiner Kurve – und wo klemmt es?
  • Wo kippt Resonanz in Überwältigung (Ausschluss, Aggression) – und wie dämpfen wir, ohne zu ersticken?
  • Wie balanciere ich Unverfügbarkeit und Rahmung (Weber) in Vereinskommunikation, Ticketing und Fanarbeit?
  • Welche Atmosphären (Anderson) und Affektzirkulationen (Ahmed) erklären konkrete „Gänsehaut“- oder „Fremdheit“-Momente besser als rein kognitive Modelle?

Literatur (APA)


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