2.2.3.14 Giddens: Die Strukturierung von Affekten

Teaser

Mit Giddens verstehe ich Affekte im Fußball als strukturiert und strukturierend zugleich. Gefühle entstehen nicht im luftleeren Raum: Regeln und Ressourcen (Stadionordnung, Szenecodes, Medienformate) rahmen sie – und genau diese Affekte reproduzieren im Spiel die Struktur. Das ist die Dualität von Struktur (Giddens 1984) – und erklärt, warum Ekstase und Ordnung im Stadion koexistieren.

Hinführung

Giddens’ Strukturierungstheorie verbindet Handlung und Struktur: Menschen handeln mit praktischem Wissen in Routinen; dabei reproduzieren sie Regeln/Ressourcen (Giddens 1984). Für meine Analyse knüpfe ich an, was ich zuvor bei Weber (Zweckrationalisierung), Goffman (Vorder-/Hinterbühnen) und Elias/Dunning (Affektökonomien) herausgearbeitet habe: Affekte sind nicht bloß spontan; sie werden gerahmt, getragen und nachbearbeitet. Giddens liefert dafür die Sprache der Regeln/Programme, der Reflexivität und der ontologischen Sicherheit (Giddens 1990; 1991).

Dualität von Struktur: Regeln/Ressourcen als Affektgerüst

  • Regeln (z. B. Gesangsfolgen, „keine Kamera“-Zonen, Einlassprotokolle) ermöglichen Zugehörigkeit – und begrenzen sie zugleich.
  • Ressourcen (Material, Zeit, Sichtbarkeit) entscheiden, welche Affekte „groß“ werden: Wer die Trommel hat, strukturiert den Puls.
  • Aus beidem entsteht ein wiederkehrender Praxisfluss – Affekte speisen Routinen und Routinen formen Affekte (Giddens 1984).

Ontologische Sicherheit: Routine, Stabilität, „fateful moments“

Fans, Teams und Vereine suchen Verlässlichkeit: gleiche Rituale, gleiche Wege, gleiche Plätze. Diese Routinen stützen „ontologische Sicherheit“ – das Grundvertrauen, dass die Welt (und das Spiel) verstehbar bleibt (Giddens 1991). Fateful moments – Elfmeter, Derby, Abstieg – durchbrechen Routinen, werden aber post hoc in Narrative und Kennzahlen zurückgeführt (hier schließt sich der Bogen zu Webers Zweckrationalisierung).

Reflexive Überwachung von Handeln: Praktisches Wissen in der Kurve

Ich sehe Capos, Fanprojekt-Teams, Pressesprecher:innen in permanenter Feinabstimmung: Lautstärke, Timing, Sicherheitslage. Das meiste bleibt praktisches Bewusstsein – Könnerschaft ohne ständige Explikation. Erst Störungen (Pyro-Diskussion, VAR-Entscheid) zwingen in diskursives Bewusstsein (Giddens 1984).

Entkopplung & Wieder-Einbettung: Medien, Ticketing, Expertensysteme

Moderne Affekte sind zeit-räumlich entkoppelt: Streams, Highlights, Live-Ticker verschieben Gegenwart (Giddens 1990). Wieder-Einbettung geschieht durch Fanrituale, Auswärtsfahrten, Stammtische. Expertensysteme (VAR, Ticketing, Crowd-Management) verlangen Vertrauen – und erzeugen Affektwechsel, wenn sie versagen oder als intransparent gelten.

Strukturierung im Mikro–Meso–Makro

  • Mikro: Einzelne richten ihr Handeln an Regeln aus (Platzwahl, Dresscode) und erzeugen dabei Gefühle (Nähe, Stolz, Ärger).
  • Meso: Gruppen bündeln Ressourcen (Choreokassen, Materiallager) und stabilisieren Affektverläufe (Einpeitschen, Deeskalieren).
  • Makro: Ligen, Medien, Politik setzen Programme (TV-Slots, Sicherheitsauflagen), die lokale Routinen umcodieren.

Forschungstagebuch (kurz)

In meinen Notizen zu einem Aufstiegsspiel: Die Anspannung steigt vorm Einlass; am Zaun handeln Ordner und Ultras eine „No-Phone“-Zone aus. Im Block wirkt das Wunder: weniger Filmerei, mehr gemeinsamer Puls. Nach dem Spiel übersetzen Verein und Medien das Erlebte in Clips, Kennzahlen, Zitate. Für mich ein Paradefall der Strukturierung – Affekt als Ergebnis und Motor von Regeln/Ressourcen.

Leitfragen

  • Welche Regeln und Ressourcen strukturieren Affekte in meinem Feld – und wie werden sie reproduziert?
  • Wo kippt Routine (Sicherheit) in Trägheit – und wann sind fateful moments produktiv?
  • Welche Expertensysteme (VAR, Sicherheit, Ticketing) erzeugen Vertrauens- und Affektdynamiken?
  • Wie verschieben Medienkopplungen (Streams/Clips) die zeitliche Struktur von Ekstasen und Enttäuschungen?

Literatur (APA)


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