2.2.3.11 Systemtheoretische Zugänge: Luhmann / Parsons

Teaser

Systemtheorie auf Fußball angewandt und schon sieht man kein „Chaos im Block“ sondern geordnete Kopplungen: Vereine, Medien, Sicherheit, Fanszenen – alles interagiert, aber nach eigenen Logiken. Parsons liefert die Funktionsfrage (AGIL), Luhmann die Sprache der Codes und Programme (Sieg/Niederlage; Regel/Verstoß). So lässt sich verstehen, wie Affekte nicht verschwinden, sondern strukturiert werden (Parsons 1951; Luhmann 1984).

Hinführung

Parsons fragt: Welche Funktionen muss ein System erfüllen, um stabil handlungsfähig zu bleiben? (Parsons 1951) Auf den Fußball übersetzt: Anpassung (A) an Märkte und Spielpläne; Zielverfolgung (G) im sportlichen Wettbewerb; Integration (I) der Kurve; Latenz/Kulturpflege (L) durch Rituale, Mythen, Vereinswerte. Luhmann verschiebt den Fokus: Gesellschaft ist funktional differenziert, jedes Teilsystem operiert mit eigenem Code und Programm (Luhmann 1984). Im Profifußball sehe ich Kopplungen: Sport ↔ Medien (Aufmerksamkeit), Sport ↔ Wirtschaft (Sponsoring), Sport ↔ Politik (Ordnung/Sicherheit). Affekte werden dabei kanalisiert – nicht unterdrückt, sondern in Verfahren und Routinen überführt (Luhmann 1995; Bette & Schimank 1995).

Parsons im Stadion: AGIL als Leserasters

A – Anpassung. Ticketing, Kaderplanung, Stadionbetrieb reagieren auf Umweltbedingungen (Wirtschaft, Recht, Wetter).
G – Zielverfolgung. Tabellenplätze, Aufstieg, Titel – strategisch priorisiert und in Kennzahlen übersetzt.
I – Integration. Fanprojekte, Capo-Ansagen, Ordner, Vereinskommunikation halten die Kurve bündig.
L – Latenz (Werte/Kultur). Vereinshymnen, Rituale, Legenden stabilisieren Sinn – sie speichern Affekte als Ressource für die nächste Krise (Parsons 1951).

Luhmann im Stadion: Code, Programm, Kopplungen

Code & Programm. Der sportliche Code Sieg/Niederlage wird programmatisch gefüllt (Taktik, Training, Kaderpolitik). Verstöße (Doping, Matchfixing) zeigen, dass Abweichung systemförmig entstehen kann, wenn externe Erwartungen (Leistung, Geld, Ruhm) den Code „überlasten“ (Bette & Schimank 1995).
Strukturelle Kopplungen. Mit den Medien koppelt der Fußball über Sichtbarkeit/Newsworthiness; mit der Wirtschaft über Vertragsregeln; mit der Politik/Recht über Sicherheit und Ordnung (Luhmann 1995).
Komplexität & Enttäuschung. Affekte werden nicht gesteuert wie ein Volumenregler, sondern durch Programmwechsel (z. B. Kommunikationsregeln, Stadionordnungen, Awareness-Teams) gerahmt (Luhmann 1984; Kneer & Nassehi 1993).

Anwendung: Zweckmäßige Affektordnungen

Aus der AGIL‑Logik verstehe ich Vereinsentscheidungen (z. B. Preisstruktur) als Integration vs. Anpassung-Trade-off. Aus Luhmann lerne ich, warum die gleichen Affekte auf der Vorderbühne Stadion „zulässig“ wirken, backstage aber umcodiert werden (Regel/Verstoß, Risiko/Sicherheit). Dopingdebatten sind dafür Lehrstücke: Sie zeigen die Eigenlogik des Systems und seine Kopplungen – nicht bloß individuelles Versagen (Bette & Schimank 1995).

Forschungstagebuch (kurz)

Nach einem hitzigen Derby blättere ich meine Notizen: Vor Ort dominieren G (Zielverfolgung) und I (Integration) – die Kurve „hält Linie“. 24 Stunden später verschiebt sich der Frame: Medienlogiken prägen die Nachdeutung (Clips, Hashtags). Für mich ein gutes Beispiel, wie Affekte über Kopplungen nachbearbeitet werden (Luhmann 1995; Parsons 1951). In der Analyse greife ich – wie schon bei Elias/Dunning, Durkheim und Goffman – auf Mikro‑ und Mesoebene zu, ergänze jetzt aber System‑Begriffe für die Makro-Ordnung.

Leitfragen

  • Wo kollidieren im Verein A/G/I/L – und wie wird priorisiert?
  • Welche Programme regeln im Club und in der Kurve, wann Affekte „okay“ sind – und wann nicht?
  • Über welche Kopplungen (Medien, Wirtschaft, Politik/Recht) werden Affekt-Erzählungen nachbearbeitet?
  • Welche Fälle (Doping, VAR, Sicherheit) zeigen, dass Abweichung strukturell statt rein individuell entsteht?

Literatur (APA)


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