Teaser

Unsicherheit macht Fußball attraktiv; Affektkontrolle macht ihn tragfähig. Zusammengefasst: Auf Mikro‑, Meso‑ und Makro‑Ebene wird bewusst von Spieltag zu Spieltag Unsicherheit erzeugt, gerahmt und verarbeitet – idealerweise so, dass daraus regulierte Resonanz entsteht (Elias & Dunning 1986; Rosa 2016).

1. Unsicherheit (2.4.1) ist kein Fehler, sondern Faszinosum – sie wird technisch, organisatorisch und kulturell hergestellt und als Affektmotor genutzt (Hughson et al. 2016; Scelles et al. 2021).
2. Affektkontrolle (2.4.2) bedeutet Rahmung statt Dämpfung: Regeln, Rituale, Räume, Rhythmen (4R) sorgen dafür, dass Spannung bindet statt ermüdet (Goffman 1967; Elias & Dunning 1986; Rosa 2016).
3. Ebenenlogik: Mikro‑Praktiken tragen nur, wenn sie mit Meso‑Verfahren und Makro‑Regimen kompatibel sind – andernfalls droht Reaktanz (Brehm 1966; Weber 1922; Steindl et al. 2015).

Die Kette: Von Unsicherheit zu Resonanz

Impuls → Aufladung → Rahmung → Folge.

• Impuls: Ereignis (Tor/VAR/Foul) erzeugt Spannung (Durkheim 1912).
• Aufladung: Affekt steigt in Körpern und Gruppen (Collins 2004).
• Rahmung: 4R greifen – Mikro‑Rituale, Meso‑Verfahren, Makro‑Regeln (Goffman 1967; Weber 1922).
• Folge: Resonanz (getragen), Müdigkeit (abgepuffert), oder Reaktanz (Widerstand) (Rosa 2016; Brehm 1966).

Kurzprofile der Ebenen

Mikro – Selbst‑ & Gruppenregulation

Atem, Blick, Geste, Humor/Selbstironie, Peer‑Hinweise. Rational‑Choice: Entscheidung zwischen Buhen vs. Tragen hängt von Normstärke, erwarteten Sanktionen und Zugehörigkeitsnutzen ab (Esser 1993; Coleman 1990; Simmel 1908).

Meso – Vereins‑ & Verbandsregeln

Legitimität durch transparente Verfahren, graduierte Sanktionen, Fan‑Ko‑Regulation. Gute Meso‑Regie übersetzt Konflikte in erträgliche Formen (Dahrendorf 1959; Elias & Dunning 1986; Weber 1922).

Makro – Politik, Ökonomie, Recht

Sicherheits‑, Medien‑, Arbeits‑ und Wettbewerbsregime setzen den Korridor: Sie können Unsicherheit kalibrieren (z. B. VAR, Spielpläne) oder Affekte entkoppeln, wenn Legitimität fehlt (Foucault 1975; Beck 1986; Scelles et al. 2021).

4R × Ebenen – die Matrix auf einen Blick

• Regeln: Mikro‑Mikrocodes → Meso‑Stadionordnung → Makro‑Gesetz/Verband.
• Rituale: Atem/Stille → Einlauf/Erklärung → nationale Gedenk‑/Fair‑Play‑Regie.
• Räume: Block/Kneipe → Stadionarchitektur → Stadt/Medienökologie.
• Rhythmen: T‑5/T/T+5 → Einlass/Abfluss/Ansetzung → Saison/TV‑Fenster.
  Merksatz: Je anschlussfähiger die 4R über Ebenen hinweg, desto mehr Resonanz, desto weniger Reaktanz (Rosa 2016; Steindl et al. 2015).

Fünf zentrale Befunde

1. Unsicherheit verkauft – aber erklärt werden muss sie. Technische Korrekturen (VAR) reduzieren Regelunsicherheit, schaffen aber Warte‑ und Deutungsunsicherheit; diese braucht kommunikative Rahmung (Scelles et al. 2021; Goffman 1967).
2. Humor ist Affekt‑Technik, kein Beiwerk. Selbstironie hält Würde und Zugehörigkeit offen – besonders nach Negativerlebnissen (Simmel 1908; Wetherell 2012).
3. Graduierte Sanktionen schlagen Null‑Toleranz. Sichtbare Eskalationsleitern erhöhen Prozedurvertrauen und senken Reaktanz (Coleman 1990; Weber 1922).
4. Selektive Anreize wirken. Wenn Compliance‑Nutzen > Protest‑Nutzen (z. B. Vorkaufsrechte, Rückerstattungen, Dialogformate), kippt das Gleichgewicht Richtung Kooperation (Esser 1993; Braun & Gautschi 2011).
5. Resonanz braucht Räume und Zeit. Vereinslokale/„third places“ und gut getaktete Abläufe konvertieren Spannung in Bindung (Rosa 2016; Putnam 2000).

Designprinzipien für Praxis & Forschung

• Erklären statt nur entscheiden: Entscheidungs‑Begründungen in Echtzeit (Anzeigen, Lautsprecher) verringern Deutungsunsicherheit (Weber 1922; Scelles et al. 2021).
• Ko‑Regulation stärken: Fanbeirat, Capo‑Absprachen, sober corners als soziale Drosseln (Rosa 2016; Cleland 2015).
• Rhythmus pflegen: Stillefenster/Call‑and‑Response zeitlich standardisieren (Goffman 1967; Collins 2004).
• Anreiz‑/Sanktionsmix: Selektive Benefits + graduierte Sanktionen; Monitoring und Feedback‑Loops (Esser 1993; Coleman 1990).
• Datenpfade: T‑5/T/T+5‑Protokolle, Preis‑Zeit‑Profile, VAR‑Dauer/Erklärungs‑Log, Vignettenkatalog.

Mini‑Synthese als Vignette

72. Minute, Check in progress. Der Block hält Stille (Mikro‑Ritual). Die Anzeige bittet um Geduld, danach folgt eine kurze Erklärung (Meso‑Verfahren). Die Liga‑Vorgabe schreibt die Anzeige‑Texte und Toleranzzeiten vor (Makro‑Regime). Ergebnis: Enttäuschung, aber getragen, kein Bruch – regulierte Resonanz statt Reaktanz (Goffman 1967; Scelles et al. 2021; Rosa 2016).

Literatur (APA 7, verlinkt)

• Beck, U. (1986). Risikogesellschaft. Suhrkamp.
• Brehm, J. W. (1966). A theory of psychological reactance. Academic Press.
• Braun, N., & Gautschi, T. (2011). Rational‑Choice‑Theorie. Beltz Juventa.
• Cleland, J. (2015). A sociology of football in a global context. Routledge.
• Coleman, J. S. (1990). Foundations of social theory. Harvard University Press.
• Collins, R. (2004). Interaction ritual chains. Princeton University Press.
• Dahrendorf, R. (1959). Class and class conflict in industrial society. Stanford University Press.
• Durkheim, E. (1912/1994). Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Suhrkamp.
• Elias, N., & Dunning, E. (1986/2008). Quest for excitement. UCD Press.
• Goffman, E. (1967/1986). Interaktionsrituale. Suhrkamp.
• Hughson, J., Moore, K., Spaaij, R., & Maguire, J. (Eds.). (2016). Routledge handbook of football studies. Routledge.
• Putnam, R. D. (2000). Bowling alone. Simon & Schuster.
• Rosa, H. (2016). Resonanz. Suhrkamp.
• Scelles, N., Pantzalis, C., et al. (2021). Fans’ perceptions towards VAR in the English Premier League. Journal of Risk and Financial Management, 14(12), 573.
• Steindl, C., Jonas, E., Sittenthaler, S., Traut‑Mattausch, E., & Greenberg, J. (2015). Understanding psychological reactance. Zeitschrift für Psychologie, 223(4), 205–214.*
• Wetherell, M. (2012). Affect and emotion: A new social science understanding. SAGE.