2.2 – Theoretisches Rüstzeug

Oder: Ein bisschen Soziologie schadet nie. Und es darf gern auch mal ein bisschen mehr sein.

Teaser

Ich führe in mein theoretisches Gerüst (2.2) ein: Warum ich Affekte als Zentrum wähle, wie (sozial‑)psychologische und soziologische Klassiker zusammenwirken – und wie daraus ein Arbeitsrahmen entsteht, der Feldbeobachtungen, Interviews und Artefakte bündelt.

Hinführung: Wozu ein theoretisches Gerüst?

Ich brauche einen Rahmen, der Erleben, Regeln und Räume des Fußballs zusammen lesbar macht. Affekte (2.2.1) sind mein Dreh‑ und Angelpunkt; Affektkontrolle (2.2.2) erklärt, wie diese Energien gerahmt werden. Die folgenden Kapitel verdichten das in zwei Säulen:

  1. (Sozial‑)psychologische Grundlagen (2.2.2) – Mikro‑Mechaniken von Wahrnehmung, Bewertung und Handlung.
  2. Klassiker der Soziologie (2.2.3) – Ordnungen, Macht, Kapital und Öffentlichkeit als Makro‑/Meso‑Kontexte.

Leitidee: Regulierte Resonanz – Affekte tragen, wenn Regeln, Rituale, Räume und Rhythmen (4R) zusammenspielen, statt sich zu blockieren.

Selbstverortung: bewusster Theoriemix (Grounded Theory)

Ich bin kein Anhänger einer theoretischen Schule und sehe mich als jeder neuen theoretischen Erfahrung gegenüber offenen Soziologen. Mir ist also bewusst, dass dieses Gerüst ein soziologisch‑psychologischer Gemischtwaren‑Laden ist. Ich erhebe keinen Anspruch auf theoretische Tiefe bis zur Detailverliebtheit in jeder Einzeltradition. Stattdessen nehme ich mir – ganz im Sinne der Grounded Theory – die Freiheit eines best of all worlds: Ich zimmer mir ein eigenes theoretisches Gebäude, das meine empirische Arbeit trägt. Für Fans strenger Theoriesystematik mag das auf den ersten Blick wie ein zusammengeflicktes Theoriemonster Frankensteinschen Ausmaßes wirken. Ich nenne es einen praxistauglichen Baukasten: transparent in seinen Heuristiken (4R, Mikro/Meso/Makro), sauber zitiert, mit expliziten Grenzen und laufenden Empirie‑Passproben (Zeitmarker, Kodiermemos, Negativfälle).

Was leistet das Gerüst konkret?

  • Es übersetzt z.B. Stadion‑ und Vereinslokal‑Praxis in begriffliche Arbeit (Affekt → Kontrolle → Resonanz).
  • Es verschaltet Ebenen (Mikro/Meso/Makro) ohne Reduktionismus.
  • Es liefert Heuristiken fürs Feld: z.B. Zeitmarker (T‑5/T/T+5), 4R‑Mapping, Achsen (Affektäußerung ↔ Kontrolle ↔ Widerstand; Lokal ↔ Global; Tradition ↔ Inklusion).

Roadmap 2.2.2 – (Sozial‑)psychologische Grundlagen

  • 2.2.2.1 Freud & Jung – Triebe und Archetypen: Fußball als Bühne unbewusster Wünsche und kollektiver Bilder (Eros/Thanatos; Held:in, Trickster). Ich nutze das metaphorisch‑heuristisch, nicht als Diagnostik.
  • 2.2.2.2 Sozialer Vergleich (Festinger): Warum Siege mehr sind als Punkte: besser als die Anderen strukturiert Lust/Frust und Rivalität.
  • 2.2.2.3 Kognitive Dissonanz (Festinger): Treue trotz Abstieg: Investitionen (Zeit/Geld/Affekte) werden konsistent gemacht – „Wir bleiben“.
  • 2.2.2.4 Reaktanz (Brehm): Wenn Regeln ohne Resonanz treffen: Fans weichen aus, rebellieren, erfinden Gegenpraktiken (Ironie, Stille, Pyro‑Debatten).

Roadmap 2.2.3 – Klassiker der Soziologie

  • 2.2.3.1 Elias/Dunning: Kontrollierte Entgrenzung – wie Disziplin Affekt‑Hochs ermöglicht.
  • 2.2.3.2 Dahrendorf: Jedes Spiel als Mikrokonflikt mit Rollen, Regeln, Sanktionen.
  • 2.2.3.3 Tönnies: Gemeinschaft/Gesellschaft – vom Dorfplatz zur Medienarena.
  • 2.2.3.4 Piketty: Kapital im 21. Jh. – Vermögensdynamiken als Affekt‑Hintergrund (Preise, Ungleichheiten, Zugang).
  • 2.2.3.5 Durkheim: Kollektive Ekstasen – heilige Momente der Kurve.
  • 2.2.3.6 Simmel: Wechselwirkungen – Humor und (Selbst‑)Ironie als soziale Schmierung.
  • 2.2.3.7 Eribon: Klasse, Männlichkeit, Homophobie – Bruch und Wandel in Fankulturen.
  • 2.2.3.8 Goffman: Vorder‑/Hinter(tri)bünen – Inszenierung zwischen Kurve, Kabine, Kneipe.
  • 2.2.3.9 Weber: Zweckrationalisierung – Planung und Verwaltung von Affekten.
  • 2.2.3.10 Luhmann/Parsons: Systeme/Funktionen – Sport als Teilsystem, Kopplungen zu Recht, Medien, Wirtschaft.
  • 2.2.3.11 Handlungstheorie/Rational Choice: Nutzen, Normen, Sanktionsgefüge in Fankollektiven.
  • 2.2.3.12 Putnam: Football watching alone? – Erosion/Revival sozialen Kapitals.
  • 2.2.3.13 Giddens: Strukturierung – Praktiken reproduzieren Ordnungen (und verändern sie).
  • 2.2.3.14 Habermas: Öffentlichkeit/Gegenöffentlichkeit – Fankurven als Diskursräume.
  • 2.2.3.15 Rosa: Resonanz – tragfähige Weltbeziehungen als Affektziel.
  • 2.2.3.16 Ulrich Beck: Risikogesellschaft – Unsicherheiten, Sicherheitsregime, Prekarität.
  • 2.2.3.17 Bourdieu: Kapital/Habitus/Feld – Distinktionen und Anerkennung im Stadion.
  • 2.2.3.18 Foucault: Wachen & Strafen – Dispositive, Körper, Disziplin.
  • 2.2.3.19 Marx: Verfremdung/Ökonomie – Arbeit, Ware, Spektakel.
  • 2.2.3.20 Coleman: Makro–Mikro–Makro – Brücken zwischen individuellen Entscheidungen und kollektiven Effekten.

Wie ich das voraussichtlich nutze

Ich kodiere Affekt‑Träger, ‑Techniken und ‑Regeln; ich mappe Räume und Rhythmen (4R); ich prüfe Konfliktachsen (Affektäußerung/Kontrolle/Widerstand). Klassiker geben mir Linsen, Psychologie die Hebel – im Feld zähle ich Praktiken.

Ausgewählte Literatur (APA 7)

Interne Bezüge (Projekt)

  • 2.2.1–2.2.3 (Affekte, Affektkontrolle, Affekte als Zentrum)
  • 1.2.4.12–14 (Idealtypen)
  • Presseschau (wöchentliche Diskurs‑Resonanz)

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