2.1 Affekt und Affektkontrolle

Affekte – und deren Kontrolle – sind das Bindeglied zwischen individuellem Erleben, sozialer Ordnung und kollektiver Dynamik in unserem Fußballprojekt. Für das Projekt verstehe ich Affekt pragmatisch als körpernahen, oft vor‑bewussten Intensitätszustand; Emotion als kulturell benannte, sozial gerahmte Episode; Gefühl als subjektiv berichtete Erlebnisqualität (vgl. Russell, 1980; Wetherell, 2012; Ahmed, 2004). Diese Differenzierung hilft, zwischen Rohimpulsen, ihrer sozialen „Einordnung“ und der sprachlichen Artikulation zu unterscheiden.

Warum Affekte zentral sind

Affekte strukturieren Aufmerksamkeit, Anschlusskommunikation und Handlungsbereitschaft. In verdichteten Settings (Stadion, Seminarraum, Social Media) koppeln sich Affekte schnell – als Ansteckung, Resonanz oder Kontrast. Diese Kopplungen sind soziale Praktiken: Sie manifestieren sich nicht nur „in Köpfen“, sondern in Interaktionen, Artefakten (Choreos, Medien) und Regelwerken (vgl. Collins, 2004; Wetherell, 2012).

Affektkontrolle – zwischen Regelwerk und Entgrenzung

Mit Elias/Dunning denke ich Affektkontrolle als zivilisatorisches Langzeitprojekt: Gesellschaften verschieben den Schwerpunkt von Fremdzwang zu Selbstzwang und erzeugen Arenen kontrollierter Ent‑/Entgrenzung – im Sport besonders sichtbar (vgl. Elias & Dunning, 1986/2008). In solchen Arenen sind starke Affekte nicht nur erlaubt, sondern gerahmt: Rituale, Routinen und Sanktionen halten Überschuss in Bahnen – ohne die Spannung ganz zu neutralisieren.

Auf der Mikroebene bietet sich neben Handlungstheorien wie Rational Choice (Esser 2023) auch Gross’ Prozessmodell der Emotionsregulation an: (1) Situationsauswahl, (2) Situationsmodifikation, (3) Aufmerksamkeitslenkung, (4) kognitive Neubewertung, (5) Reaktionsmodulation. So lassen sich beobachtete Praktiken (z. B. Gesänge, Ironie, „Runterzählen“) analytisch verorten (Gross 1998).

Auf der Mesoebene stütze ich mich auf Feeling‑ und Display‑Rules: Kollektive „Gefühlsregeln“ und Darstellungsnormen ordnen, welche Affekte wann wie gezeigt werden (Hochschild, 1983). Auf der Makroebene greifen semantische Ordnungen: Affect Control Theory modelliert, wie Akteur:innen Handlungen wählen, um kulturelle Sentiments zu bestätigen (EPA‑Dimensionen), und wie Abweichungen („Deflection“) Affekte/Attributionen verschieben (vgl. Heise, 2007).

Vorläufige Arbeitsdefinitionen

  • Affekt: kurzlebige, körpernahe Aktivierungs‑/Valenzzustände, oft prä‑reflexiv (Russell, 1980; Wetherell, 2012).
  • Emotion: sozial gerahmte, benannte Episoden mit kognitiver Bewertung und Ausdruck (Frijda, 1986).
  • Gefühl: subjektive, sprachliche Selbstbeschreibung des Erlebens (Ahmed, 2004).
  • Affektkontrolle: Bündel aus individuellen Strategien (Gross) und kollektiven Regelwerken (Hochschild; Elias/Dunning), die Intensitäten rahmen, dämpfen oder gezielt steigern (Gross, 1998; Hochschild, 1983; Elias & Dunning, 1986/2008).

Regelwerk vs. Entgrenzung als Spannungsachse

Regelwerk (klar kodiert, sanktioniert) ↔ Entgrenzung (liminale Freiräume, Ausnahme von Regeln).

Viele Praktiken zielen auf kontrollierte Entgrenzung, von choreografierter Ekstase bis hin zu ironische Brechungen. Diese Figur erklärt, warum hohe Intensität nicht zwangsläufig Kontrollverlust bedeutet, sondern performativ hergestellt und kollektiv abgesichert ist (vgl. Elias & Dunning, 1986/2008; Collins, 2004).

Entwurf eines Beobachtungsrasters

  • Auslöser (Ereignisse, Symbole, Gegner, Medienimpulse)
  • Träger (Gruppen, Rollen, Artefakte)
  • Regeln (explizit: Hausordnungen; implizit: Feeling‑/Display‑Rules)
  • Strategien (Auswahl, Modifikation, Aufmerksamkeit, Neubewertung, Modulation)
  • Formen der Entgrenzung (liminale Zonen, „safe transgressions“)
  • Outputs (Affektverlauf, Eskalationsspitzen, Deeskalationsmarker)

Zwischenfazit

Für die folgenden Unterkapitel arbeite ich mit einer mehrskaligen Perspektive: Mikro (Strategien), Meso (Rollen/Regeln), Makro (zivilisatorische Rahmung, semantische Ordnungen). So lassen sich auch Spannungen produktiv machen: „Mehr Gefühl“ muss nicht weniger Kontrolle bedeuten – es braucht besseres Framing.

Literatur


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