Teaser: Sie verachten die FIFA und den DFB, weil sie die Kommerzialisierung ablehnen. Sie gründen queer-feministische Fanclubs wie die Norisbengel beim FCN oder die Gay Bo’s bei den Bohemians oder nutzen das Millerntor-Stadion als Bühne für antifaschistische Proteste. Doch während manche Vereine wie St. Pauli oder Bohemians zeigen, dass Fußball auch politisch und basisdemokratisch funktionieren kann, beweisen andere – wie der TSV 1860 München – dass Geld allein keinen Erfolg garantiert, sondern oft nur noch mehr Entfremdung schafft. Was treibt diese Fans an? Und was sagt ihr Engagement über die Widersprüche des modernen Fußballs aus?
Hinführung: Fußball als Ort der Entfremdung – und des Widerstands. Für politisch und sozial engagierte Fans ist Fußball kein unschuldiges Spiel, sondern ein Spielfeld gesellschaftlicher Konflikte. Sie erleben den Profifußball oft als entfremdet (Marx, 1844) – als eine Welt, in der Spieler zu Waren, Fans zu Konsumenten und Vereine zu Kapitalanlagen werden. Ihre Antwort darauf? Widerstand, Selbstorganisation – oder die bewusste Abkehr.
Nicht jeder Versuch, Fußball wirtschaftlich erfolgreich zu machen, führt zum Ziel. Der TSV 1860 München ist ein Mahnmal dafür, dass Geld allein keine Identität stiftet – und dass Kapitalisierung (Piketty, 2014) auch mehr Entfremdung als Erfolg bringen kann.
St. Pauli: Wenn das Stadion zur Gegenöffentlichkeit wird. Der FC St. Pauli zeigt, wie Fußball politisch und gemeinwohlorientiert funktionieren kann. Hier wird nicht nur gegen Rassismus und Homophobie protestiert, sondern auch für Klimagerechtigkeit und soziale Projekte gekämpft. Doch selbst hier gibt es Widersprüche zwischen alternativem Habitus und der dann doch Kapitalisierung mit der perfekten Vermarktung der Marke St. Pauli:
- Erfolge:
- Choreografien als politische Intervention („Kein Fußbreit den Nazis“).
- Fanlädens als soziale Zentren – aber auch als wirtschaftlicher Faktor.
- Netzwerke mit antifaschistischen Gruppen – doch wie viel Protest verträgt der Verein, wenn er gleichzeitig Sponsoren braucht? (z.B. Abkehr von der rechtsbelasteten Marke Under Armor.)
- Grenzen:
- Tourismus-Problem: Viele kommen wegen des „Kult-Images“ – Bleiben die politischen Inhalte dabei auf der Strecke?
- Ökonomische Abhängigkeit: Auch St. Pauli muss Kompromisse eingehen.
Ein Aktivist sagt: „Wir wollen den Fußball zurückerobern – aber wir sind gleichzeitig Teil des Systems, das wir kritisieren.“ Halluzination
Die Entfremdung im Profifußball (Marx, 1844):
- Spieler:innen als Waren (Transfermarkt, Gehälter).
- Fans als Konsumenten (Pay-TV, Merchandising).
- Vereine als Unternehmen – selbst bei St. Pauli.
Die Antwort: Gegenöffentlichkeiten schaffen – durch Protest, Selbstorganisation und die Rückeroberung des Stadions als politischer Raum.
Bohemians Dublin: Fußball als basisdemokratisches Projekt.
Die Bohemians Dublin beweisen, dass Fußball ohne Milliardäre funktionieren kann – als Fan-owned Club, der sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Doch auch hier zeigt sich: Kapitalisierung (Piketty, 2014) ist nicht das einzige Problem – Entfremdung (Marx, 1844) droht überall.
- Erfolge:
- „Bohemians for Change“ (Obdachlosenhilfe, Antirassismus).
- Keine Sponsoren von Waffen- oder Glücksspielfirmen.
- Queer-Fanclubs wie „Gay Bo’s“.
- Herausforderungen:
- Finanzielle Engpässe – ein Dauer-Kampf gegen die ökonomische Logik.
- Mediale Unsichtbarkeit – politische Arbeit bleibt oft unsichtbar und wird scheinbar(?) auch von den Offiziellen unterlaufen.
Eine Aktivistin sagt: „Wir zeigen, dass Fußball anders geht – aber wir kämpfen jeden Tag gegen die Macht des Geldes.“ Halluzination
Die Kapitalisierung des Fußballs (Piketty, 2014):
- Vereine als Investitionsobjekte (PSG, Man City, SV Elversberg, TSG Hoffenheim, Leipzig).
- Ungleichheit durch TV-Gelder (1. vs. 2. Bundesliga).
- Fans als „Kund:innen“ – selbst bei Alternativmodellen.
Die Antwort der Bohemians: Ein Verein, der sich der Logik des Kapitals entzieht – durch Fan-Eigentum und politische Kampagnen.
TSV 1860 München: Wenn Kapitalisierung in die Entfremdung führt
Der TSV 1860 München ist ein Lehrstück dafür, dass Geld allein keinen Erfolg bringt – im Gegenteil: Investoren, Schulden und falsche Entscheidungen können einen Traditionsverein in die Krise stürzen – und die Fans vollständig entfremden (Marx, 1844).
- Die Kapitalisierungs-Falle (Piketty, 2014):
- Investor Hasan Ismaik (2011–2017) pumpte Millionen in den Verein – doch statt sportlichem Erfolg gab es Chaos, Schulden und Abstieg bis in die Regionalliga.
- Entfremdung der Fans: Viele fühlten sich betrogen – der Verein wurde zur Spielwiese für Investoren, nicht mehr ihre Heimat.
- Identitätsverlust: Statt „Sechzger“-Kultur dominierten Gerichtsprozesse und Insolvenzängste.
- Die Folgen:
- Fan-Proteste (e.V. gegen die GmbH & Co. KGaA).
- Rückkehr zu den Wurzeln – aber der Schaden bleibt.
- Frage: Kann ein Verein, der einmal verkauft wurde, jemals wieder „echt“ sein?
Ein Fan sagt: „Früher war 1860 unser Verein. Jetzt ist er nur noch eine ruinierte Marke.“
Die Lehre(?):
- Geld allein bringt keinen Erfolg – es kann Entfremdung verstärken.
- Kapitalisierung ohne Fan-Einbindung führt in die Krise.
- Tradition und Identität sind nicht käuflich.
Die „Amateur-Rebellen“: Die bewusste Abkehr vom entfremdeten Profifußball
Nicht alle politisch motivierten Fans unterstützen große Vereine – manche lehnen den Profifußball komplett ab. Stattdessen engagieren sie sich in:
- Amateurvereinen, wo Fußball noch Gemeinschaft statt Business ist.
- Kinder- und Jugendfußball, weil sie keine „Leistungsmaschinen“, sondern Freude am Spiel wollen.
- Alternativen Ligasystemen (z. B. Fußball für Alle, Antifa-Ligen).
Warum sie den Profifußball boykottieren:
„Der Fußball gehört nicht mehr uns, sondern den Milliardären.“ (Entfremdung nach Marx)„Ich will nicht, dass mein Kind denkt, Fußball sei etwas für Reiche.“ (Kritik an der Kapitalisierung)„In der Kreisliga geht es um Spaß und Zusammenhalt – nicht um TV-Gelder.“
Ein Vater, der seinen Sohn in einem Berliner Amateurverein trainiert, sagt: „Ich war früher selbst Hertha-Fan, aber heute? Da gehe ich lieber mit meinem Sohn auf den Bolzplatz, als mir die Bundesliga im Pay-TV anzuschauen.“
Makro: Fußball als Spiegel gesellschaftlicher Widersprüche
Drei Entwicklungen zeigen, warum diese Fans immer wichtiger werden:
- Fußball als Resonanzraum (Rosa, 2016) – und Ort der Entfremdung (Marx, 1844): Stadien spiegeln gesellschaftliche Konflikte. Politisch engagierte Fans machen diese sichtbar – und fordern Veränderungen.
- Die Krise des Profifußballs (Piketty, 2014): Durch Investoren, TV-Monopole und Schulden (wie bei 1860) fühlen sich Fans entfremdet. Die Antwort: Widerstand oder Boykott.
- Fußball als sozialer Raum – zwischen Kapital und Gemeinschaft: Ob bei St. Pauli, den Bohemians oder im Amateurbereich – diese Fans zeigen: Fußball kann Gemeinschaft stiften – aber nur, wenn er nicht dem Kapital geopfert wird.
Theoretische Einordnung
Entfremdung, Kapitalisierung und gescheiterte Investitionen
Theorie: Anwendung auf politisch motivierte Fans
Marx (1844) Entfremdung im Fußball: Spieler als Waren, Fans als Konsumenten, Vereine als Unternehmen. → Antwort: Rückeroberung des Fußballs als gemeinschaftlicher Raum.
Piketty (2014) Kapitalisierung des Fußballs: Vereine als Investitionsobjekte (PSG, Man City – aber auch 1860 München!). → Antwort: Alternativen schaffen.
Rosa (2016) Fußball als Resonanzraum: Stadien als Orte gesellschaftlicher Auseinandersetzung. → Antwort: Politische Kampagnen und basisdemokratische Strukturen.
Butler (1990) Performative Akte des Widerstands: Choreografien, Boykotte, queere Fanclubs als politische Handlungen. → Antwort: Fußball als Bühne für gesellschaftlichen Wandel.
Illich (1973) Konvivialität statt Kommerz: Amateurfußball als selbstbestimmte Alternative. → Antwort: Fußball jenseits des Marktes leben.
Halluzination: Aus dem Forschungstagebuch: Stimmen des Widerstands
„Bei St. Pauli geht es nicht um Fußball – es geht um die Frage, wie wir leben wollen. Und wenn wir im Block stehen, dann ist das unser kleiner Revolutionärsversuch.“ (Aktivist, FC St. Pauli)
„Die Bohemians sind unser Verein – nicht weil wir reich sind, sondern weil wir zusammenhalten.“ (Fan, Bohemians Dublin)
„1860 München zeigt: Geld allein bringt nichts – es zerstört sogar unsere Identität.“ (Fan, TSV 1860)
„Der Profifußball hat mich entfremdet – also habe ich mir meinen eigenen Fußball zurückgeholt.“ (Ehemaliger Bundesliga-Fan, jetzt Amateurspieler)
Leitfragen für die Diskussion
- Kann Fußball wirklich gesellschaftliche Veränderungen anstoßen – oder bleibt es bei Symbolpolitik?
- Warum scheitern manche Vereine an der Kapitalisierung (wie 1860 München) – während andere (wie St. Pauli) widerstehen?
- Sind Amateurvereine und Fan-Projekte die „wahre“ Zukunft des Fußballs – oder nur eine Nische?
- Was verliert der Fußball, wenn der Protest zum Marketing wird?
- Wie kann man mehr Menschen für politischen Fußball begeistern – ohne sie zu überfordern?
- Können St. Pauli, die Bohemians & Co. ein Modell für andere Vereine sein – oder sind sie Einzelfälle?
- Ist die Abkehr vom Profifußball eine radikale Notwendigkeit – oder eine romantische Illusion?
Interne Verlinkungen
1.2.4 – Die Suche nach idealtypischen Fans
3.3.5 – Fanclubs als soziale Bewegungen
5.4.1 – FC St. Pauli: Queer-feministische Fanszenen & linke Gegenöffentlichkeit
2.2.3.18 – Wachen und Bestrafen mit Foucault
2.2.3.19 – El Clásico: Marx und die fußballerische Verfremdung
Literatur
Marx, Karl. (1844). Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Google Scholar
Piketty, Thomas. (2014). Das Kapital im 21. Jahrhundert. Google Scholar
Rosa, Hartmut. (2016). Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Google Scholar
Butler, Judith. (1990). Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. Google Scholar
Illich, Ivan. (1973). Tools for Conviviality. Google Scholar

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