1.2.4.5 Hooligans – Konfrontation, Kollektiv, Kontrolle

Teaser: Ich begegne im Feld Fans, für die Konfrontation Teil der Anziehung ist. Sie verstehen sich nicht primär als „Zuschauer:innen“, sondern als Akteur:innen im Graubereich zwischen Kontrolle und Überschreitung. Ich nähere mich dem Typus analytisch – ohne ihn zu romantisieren oder zu dämonisieren (Spaaij, 2006). Für mich als Forscher ist klar: Ich beschreibe Praktiken und Affekte, keine Anleitung. Ich halte Distanz, notiere, trianguliere – und erinnere mich daran, dass Idealtypen Zuspitzungen sind, keine Abbilder (Weber, 1920).

Was ich beobachte – Praktiken & Routinen

  • Kollektive Präsenz: Kleidung, Gangbild, Blickregime; Zugehörigkeit wird körperlich markiert (Armstrong, 1998).
  • Risiko‑Suche: Das Kitzeln am Rand (Edgework) – Situationen kontrollieren, ohne die Kontrolle völlig zu verlieren (Lyng, 1990).
  • Abgrenzung nach innen/außen: Starke Wir‑Marker, scharfe Unterscheidung zu „normalen“ Fans und zu Polizei/Sicherheit (Elias & Dunning, 1986).
  • Erzählkultur: Narrative der Bewährung, Tapferkeit, List; Status wird erzählt und testiert (Dunning & Murphy, 1988).

Ich vermeide operative Details. Mein Fokus liegt auf Sinnwelten und Affektökonomien, nicht auf Logistik.

Affektlogik – wie es sich anfühlt (und warum es zieht)

  • Adrenalin & Kontrolle: Das Spiel mit der Grenze produziert Höhen – solange Kontrolle subjektiv erlebt wird (Lyng, 1990).
  • Kameradschaft & Anerkennung: Zugehörigkeit wird körperlich und biografisch bestätigt („man war dabei“).
  • Moral der Authentizität: Die eigene Praxis wird als „echt“ gerahmt – im Kontrast zu „Kommerz“ oder „Event“ (Elias & Dunning, 1986).

Konfliktlinien, die ich sehe

  • Sicherheit & Recht: Kollision mit Polizeistrategien, Stadionverboten, Strafrecht – und die Normalfans, die Abstand suchen (Spaaij, 2006).
  • Ultras vs. Hooligans: Atmosphärenproduktion (Ultras) vs. Konfrontationssuche (Hooligans) – Mischformen und Reibungen.
  • Generation & Stil: Wandel von Dresscodes, Kommunikation und Erzählmustern; Deutungskämpfe um „Tradition“.

Konflikttheorie & psychodynamische Perspektiven

Dahrendorf: Konflikt als Motor sozialer Ordnung. In meiner Auswertung lese ich Szenen der Hooligan‑Praxis auch als Rollen‑ und Autoritätskonflikte: Positionen (z. B. „aktive Gruppe“, Ordnungskräfte, Normalfans) tragen gegenläufige Erwartungen; daraus entstehen latente Konflikte, die sich zu manifesten verdichten, wenn Gelegenheitsstrukturen (Derby, Kollektivpräsenz, Alkohol, Polizeitaktiken) zusammenfallen (Dahrendorf, 1959). Typisch sind Quasi‑Gruppen → Interessengruppen‑Übergänge, in denen Regeln, Sanktionen und Status intern ausgehandelt werden (Dahrendorf, 1959).

Psychodynamik: Übertragung, Verschiebung, Sündenbock. Affekte, die in Arbeits‑, Familien‑ oder Stadt‑Konflikten nicht bearbeitet werden, werden in den Fußballraum verschoben (displacement) und übertragen (transference): auf Gegner, Polizei oder „Plastik“-Clubs. Die klassische Frustrations–Aggressions‑Logik erklärt, warum erlebte Blockaden (z. B. Jobunsicherheit, Preisschocks) in aggressive Scripts umschlagen können – sofern situative Auslöser, Deutung und Gruppennormen das stützen (Dollard, Doob, Miller, Mowrer, & Sears, 1939; Berkowitz, 1989). Als sozialpsychologisches Gegenstück lese ich Sündenbockmechanismen und relative Deprivation (Allport, 1954; Gurr, 1970).

Das heißt nicht, dass Hooliganismus eine bloße „Abfuhr“ privater Probleme sei; ich vermeide Pathologisierung. Für mich sind es überlagerte Konfliktachsen – strukturelle, rollenspezifische und persönliche –, die im Fußball ritualisiert verhandelt werden.

Aus dem Forschungstagebuch

  • Memo „Rand des Feldes“: Vor dem Derby verlagert sich der Fokus aus dem Stadionraum in die Stadt. Körpersprache als Frühindikator für Affektdichte.
  • Memo „Sprachmarker“: In Interviews tauchen Bewährungsmetaphern auf (stehen, halten, nicht weichen). Männlichkeitssemantik und Statusrituale.

Leitfragen, die ich mitnehme

  • Wann erlebe ich das Kitzeln am Rand – und wo kippt es? (Selbstbericht)
  • Welche Erzählungen sichern Anerkennung nach innen? (Narrative)
  • Wie unterscheiden sich Hooligan‑, Ultra‑ und Normalfan‑Routinen im Zeitverlauf (Anreise, Block, Abreise)?
  • Welche Grenzlinien ziehen Polizei, Verein, Community – und wie reagieren Beteiligte darauf?

Interne Verlinkungen

Literatur

  • Spaaij, R. (2006). Understanding Football Hooliganism: A Comparison of Six Western European Football Clubs. Amsterdam University Press. genialokal
  • Armstrong, G. (1998). Football Hooligans: Knowing the Score. Berg. genialokal
  • Dunning, E., & Murphy, P. (1988). The Roots of Football Hooliganism. Routledge. genialokal
  • Elias, N., & Dunning, E. (1986). Quest for Excitement: Sport and Leisure in the Civilizing Process. Blackwell. genialokal
  • Lyng, S. (1990). Edgework: A social psychological analysis of voluntary risk taking. American Journal of Sociology, 95(4), 851–886. JSTOR/Info
  • Dahrendorf, R. (1959). Class and Class Conflict in Industrial Society. Stanford University Press. genialokal
  • Dollard, J., Doob, L., Miller, N., Mowrer, O., & Sears, R. (1939). Frustration and Aggression. Yale University Press. Verlag/Titelinfo
  • Berkowitz, L. (1989). Frustration–aggression hypothesis: Examination and reformulation. Psychological Bulletin, 106(1), 59–73. APA/PsycNet‑Info
  • Allport, G. W. (1954). The Nature of Prejudice. Addison‑Wesley. genialokal
  • Gurr, T. R. (1970). Why Men Rebel. New York. Routledge. Verlag/Titelinfo
  • Freud, S. (1992). Übertragung und ihre Dynamik. Frankfurt. Fischer. Verlag


Entdecke mehr von Fußball-Soziologie

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert