„Tolerieren ist nicht akzeptieren“ – Ein Essay über Worte, Werte und Wirkung im Fall Valentini

Ein Ex-Kapitän spricht im Vereins-Podcast über Glauben – und über Homosexualität, besser formuliert Queerness. Er betont Nächstenliebe, grenzt sich zugleich inhaltlich ab („nicht einer Meinung sein“) und entschuldigt sich später für verletzende Formulierungen. Der Verein verweist auf sein Leitbild der Gleichbehandlung. Was bleibt, ist ein Lehrstück über Fußball als Wertelabor: Hier prallen persönliche Überzeugung, institutionelle Normen und die gelebte Kultur in Kabine und Kurve aufeinander.

1) Fußball als öffentlicher Raum – auch wenn’s „nur“ ein Podcast ist

Profifußballer:innen bewegen sich nicht in Privatzonen, sondern in Resonanzräumen. Ein Satz im Plauderton entfaltet Wirkung über Trainingsplätze, Jugendabteilungen und Tribünen hinweg. Wer U14-Spieler:innen ausbildet, trainiert nicht nur Technik, sondern auch Frames: Was gilt als normal, als respektiert, als verhandelbar? Darum sind Sätze, die zwischen Toleranz und Akzeptanz unterscheiden, nicht semantische Feinheiten, sondern Signale, wie „Wir“ gedacht wird. Der konkrete Kontext – „Ka Depp“, Folge 297 – macht das sichtbar: ein Format, das Club-Identität verhandelt.

2) Der Club und die Wertekompass-Frage

Institutionell ist es einfach: Der 1. FC Nürnberg führt ein Leitbild und verweist auf Gleichbehandlung als Norm – im Einklang mit DFB/DFL-Programmatiken zu Vielfalt und Antidiskriminierung. Praktisch ist es schwieriger: Leitbilder werden erst glaubwürdig, wenn sie Ambivalenzen aushalten und Orientierung bieten, wenn es weh tut – also genau in Fällen wie diesem.

3) Toleranz vs. Akzeptanz – was hören Jugendliche?

„Ich behandle alle gleich“ ist erforderlich, aber nicht hinreichend. Wer Toleranz betont („dulden“) und Akzeptanz meidet („annehmen“), sendet ein doppeltes Signal: Du darfst da sein – aber bitte ohne Anspruch auf Anerkennung. In Nachwuchssettings kippt das schnell in Unsichtbarkeitsarbeit: Outings bleiben aus, Codes werden stumm getragen, Sprache wird neutralisiert. Worte erziehen Haltungen – und Haltungen gestalten Räume.

4) Glaube, Gewissen, Verantwortung – kein Nullsummenspiel

Es gibt keinen Widerspruch zwischen persönlichem Glauben und professioneller Verantwortung – solange zweiteres die Schutzpflicht für Minderheiten ernst nimmt. Wer sich auf Bibelstellen beruft, kann zugleich aktiv dafür sorgen, dass queere Spieler:innen und Mitarbeitende nicht nur geduldet, sondern sichtbar sicher sind. Das ist kein Gesinnungstest, sondern pädagogische Professionalität.

5) Was jetzt hilft (und messbar ist)

  • Klartext vom Verein: Leitbild in Alltag übersetzen: Trainingskodex, Meldewege, Schutzkonzepte – nicht als PR, sondern als gelebte Praxis.
  • Rollenklärung für Ausbilder:innen: Fortbildungen zu Diversität & Sprache, Supervision bei Konflikten, Peer-Debriefs nach öffentlichen Aufregern.
  • Verlässliche Kommunikation: Wenn Fehler passieren: Was wurde verletzt? Wie wird repariert? Wer trägt Verantwortung? (Transparenz stärkt Glaubwürdigkeit.)
  • Jugendbeteiligung: Anonyme Feedback-Kanäle für NLZ-Spieler:innen zu Klima & Umgangston; jährliche Auswertung mit Maßnahmen.

6) Meine Positionalität – und warum ich das schreibe

Ich forsche als Fan in der Kurve. Mich interessieren nicht Shitstorms, sondern Strukturen. Dieser Fall zeigt, wie Worte Atmosphären bauen – oder abkühlen. Der Club hat in seiner Geschichte oft um Haltung gerungen; diese Episode ist eine Chance, aus Leitbildern lernfähige Routinen zu machen – auf dem Platz, im NLZ, im Podcast-Studio.

Schluss

Legenden dürfen menschlich sein; Vereine müssen professionell sein. Zwischen persönlicher Überzeugung und institutioneller Verantwortung liegt die Arbeit an der Kultur. Wenn Nürnberg es ernst meint mit Gleichbehandlung, übersetzt sich das in hörbare, sichtbare, trainierbare Praktiken – damit der Unterschied zwischen Toleranz und Akzeptanz nicht Theorie bleibt, sondern auf den Plätzen wirkt, auf denen die nächste Generation groß wird.


Quellenhinweise (Auswahl): Berichterstattung & Podcast-Kontext (Ka Depp Folge 297; nordbayern.de); FCN-Leitbild/-Satzung; DFB/DFL-Programme zu Vielfalt/Antidiskriminierung.


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