Grounded Theory Übung 3: Meine Kategorie im Kontrast testen.

in der S-Bahn, Mensa, Stadion,…
Zeitbedarf: 15–20 Min. Material: Ergebnisse aus Übung 1 & 2 (Codes, B-H-K-Skizze), Handy/Notizbuch, Timer. Ziel: Ich prüfe eine vorläufige Kategorie aus Übung 2 durch gezieltes theoretisches Sampling (Kontrastfälle), schärfe Eigenschaften/Dimensionen und grenze den Geltungsbereich ab (Glaser & Strauss 1967; Charmaz 2014; Corbin & Strauss 2015).
Schritt 1 – Sampling-Frage zuspitzen (2 Min.)
Ich formuliere eine präzise Frage zu meiner Kategorie (z. B. Taktisches Schlangestehen): „Unter welchen Bedingungen verschwindet sie – und wann wird sie besonders stark?“ Daraus leite ich eine Kontrastdimension ab (z. B. Regelklarheit niedrig ↔ hoch).
Schritt 2 – Zwei Kontrast-Szenen wählen (3 Min.)
Ich suche jetzt zwei kurze Mikroszenen, die auf der gewählten Dimension deutlich auseinanderliegen (z. B. Mensa ohne Durchsagen ↔ Bahnsteig mit klarer Anzeige). Mini-Ethik: Ich beobachte nur öffentliches Verhalten; keine identifizierenden Details notieren.
Schritt 3 – Rapid-Re-Coding (2×3 Min.)
Für jede Szene mache ich eine 60-Sek.-Feldnotiz und kodiere in 2 Min. 4–6 Handlungs-Codes (offenes Kodieren). Ich markiere mindestens einen Negativ-/Abweichungsfall pro Szene (Charmaz 2014).
Schritt 4 – B-H-K-Update & Skalierung (5 Min.)
- Ich ergänze meine Bedingungen – Handlungen/Strategien – Konsequenzen (Übung 2) um die beiden Kontrastfälle.
- Ich verorte beide Szenen auf den relevanten Eigenschaftsskalen (z. B. Regelklarheit, Dichte, Soziale Nähe). Falls nötig, bilde ich Unterkategorien (Corbin & Strauss 2015).
- Ich notiere die Grenzen der Kategorie: Wo passt sie nicht (Clarke 2012)?
Schritt 5 – Mini-Prognose & nächster Datenschritt (2–3 Min.)
Ich formuliere eine widerlegbare Prognose (Popper 1995) und leite den nächsten Sampling-Schritt ab: „Wenn eine ex-ante-Durchsage die Reihenfolge klarstellt (Regelklarheit↑), dann nimmt Taktisches Schlangestehen ab, unter der Bedingung mittlerer Dichte. Nächstes Sampling: Konzert-Einlass mit Barrieren.“
Qualitative empirische Dokumentation
- 2 Mikro-Feldnotizen (je ≤5 Rohsätze),
- pro Szene 4–6 Codes + 1 Negativfall,
- aktualisierte B-H-K-Stichpunkte (6–10 Bulletpoints),
- Eigenschaftsskalen mit Position der beiden Szenen,
- 1 Prognose (Wenn–dann–unter) + geplanter nächster Sampling-Ort (1 Satz).
Fiktives Sprachmuster (heuristisch; wird empirisch geprüft)
„Ohne Durchsagen entsteht durch Blicke-Synchronisieren und Vorstoß-Bremsen eine stille Ordnung (Taktisches Schlangestehen). Mit klarer Anzeige verlagert sich die Koordination auf das Formale, spontanes Bremsen wird seltener; Konflikte treten eher bei hoher Dichte wieder auf.“
Forschungstagebuch
Ich reflektiere in 2–3 Sätzen: Welche Szene habe ich bevorzugt? Wo habe ich meine eigene Norm (z. B. „ordentlich anstellen“) in die Deutung geschoben? Welche Gegenbeobachtung würde meine Prognose kippen?
Leitfragen für die Selbstreflexion
- Trägt meine Kategorie über beide Kontrastfälle – oder ist sie zu eng?
- Welche Bedingung erweist sich als „Hebel“ der Variation – und wo sehe ich das in den Daten?
- Wo muss ich Unterkategorien bilden (z. B. „formelle“ vs. „stille“ Koordination)?
- Wie sähe ein kurzer Feldtest morgen aus, der meine Prognose klar widerlegen könnte?
Anwendung im Fußball-Kontext (optional, 5 Min.)
Ich übertrage die Kategorie probeweise auf eine Fanszene (Eingangskontrolle, Blockwechsel, Fanchoreo). Ich notiere, welche Kontrastdimension dort plausibel ist (z. B. Polizeipräsenz niedrig ↔ hoch) und skizziere einen Datenschritt für das nächste Spiel.
Bewertungskriterien (Kurz-Rubrik)
- Klarheit der Sampling-Frage und Kontrastdimension,
- Nachvollziehbarkeit der B-H-K-Aktualisierung,
- Schärfe der Eigenschaftsskalen (mit Positionsangabe),
- Falsifizierbare Prognose + konkreter nächster Sampling-Schritt.
Literatur & Links (APA)
- Glaser, B. G., & Strauss, A. L. (1967). The discovery of grounded theory: Strategies for qualitative research. Aldine. The discovery of grounded theory: Strategies for qualitative research.
- Charmaz, K. (2014). Constructing grounded theory (2nd ed.). Sage. Constructing grounded theory.
- Corbin, J., & Strauss, A. (2015). Basics of qualitative research: Techniques and procedures for developing grounded theory (4th ed.). Sage. Basics of qualitative research: Techniques and procedures for developing grounded theory.
- Clarke, A. E. (2012). Situationsanalyse: Grounded Theory nach dem Postmodern Turn. Springer VS. Situationsanalyse: Grounded Theory nach dem Postmodern Turn.
- Popper, K. R. (1995). Karl Popper Lesebuch. Ausgewählte Texte zur Erkenntnistheorie, Philosophie der Naturwissenschaften, Metaphysik, Sozialphilosophie. UTB / Mohr Siebeck. Karl Popper Lesebuch. Ausgewählte Texte zur Erkenntnistheorie, Philosophie der Naturwissenschaften, Metaphysik, Sozialphilosophie.

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