2.5.4 Doping nicht nur für die Gefühle

Leistungsdruck, pharmazeutische Kontrolle & die affektive Dimension von Enhancement

Doping und „Enhancement“ im Fußball sind ein Gefüge aus Druck, Technik und Affekt. Druck entsteht durch dicht getaktete Kalender, Prekarität im Kader und Erwartungshaltungen; Technik meint die wachsende pharmazeutische Kontrolle (Listen, Pässe, Tests, TUEs); Affekt schließlich beschreibt, wie Substanzen Gefühle modulieren – Schmerz dämpfen, Angst senken, Antrieb pushen. In dieser Triade wird Enhancement mehr als reine Leistungssteigerung: Es ordnet, reguliert und verschiebt emotionale Schwellen im Spiel.

Leistungsdruck: Wenn Belastung zum System wird

Enge Spielpläne, Kaderrotation, Vertragsdruck – das sind strukturelle Treiber, die „Grenzmanagement“ normalisieren. Sie erzeugen Situationen, in denen Athlet:innen nicht nur den Körper, sondern auch die Gefühlslage an Zielvorgaben anpassen: fokussierter, furchtloser, schmerzfreier. Genau hier beginnt die Zone, in der Enhancement attraktiv wird – als Abkürzung durch Müdigkeit, Schmerz, Zweifel.

Pharmazeutische Kontrolle: Regeln, Pässe, Ausnahmen

  • Prohibited List (seit 2025 in Kraft): Die jährliche Verbotsliste definiert Substanzklassen (z. B. Stimulanzien, Narkotika, Cannabinoide, Glukokortikoide) und Methoden (z. B. Blutmanipulation) mit präzisen Schwellen/Anwendungsregeln. Sie gilt ab 1. Januar 2025 und wird national (z. B. NADA) operationalisiert.
  • Athlete Biological Passport: Der ABP überwacht individuelle Blut- (seit 2009) und Steroidprofile (seit 2014) longitudinal. Keine Einzelsubstanz, sondern Mustererkennung – auch das ist Kontrolle „über die Zeit“.
  • Glukokortikoide: Seit 2022 sind sie im Wettkampf bei allen injizierbaren, oralen und rektalen Anwendungen verboten; therapeutische Anwendungen erfordern klare Karenzzeiten oder TUE.
  • Tramadol: Seit 2024 im Wettkampf verboten. Schmerzreduktion ohne Leistungseinbruch – aber mit Abhängigkeits- und Sicherheitsrisiken.
  • Grenzwerte & Monitoring: Pseudoephedrin ist im Wettkampf oberhalb eines Urinschwellenwertes verboten; Koffein/Nikotin stehen (je nach Jahrgang) im Monitoring Program – nicht verboten, aber beobachtet.
  • TUE (Therapeutic Use Exemption): Medizinisch nötige, sonst verbotene Medikation kann mit TUE erlaubt sein. Das System versucht, Gesundheitsschutz und Fairness auszubalancieren – und bleibt dadurch komplex.

Affektives Enhancement: Substanzen als Gefühlsregler

Enhancement operiert nicht nur am Muskel, sondern am Gefühl:

  • Stimulanzien (S-Klassen): arousalerhöhend, Aufmerksamkeit/Kampfbereitschaft – riskant in Kombination mit Schlafmangel.
  • Glukokortikoide: entzündungshemmend, analgetisch; können Euphorie/Antrieb verstärken – deshalb die engen In-Competition-Regeln.
  • Analgetika/NSAR: „Schmerz-Silencer“ – im Profi- wie im Amateurfußball weit verbreitet. Sie verschieben, wann Müdigkeit/Alarm gefühlt werden und dehnen dadurch die persönliche Risiko-Toleranz.
  • „Grauzone“ Koffein/Nikotin: legal, aber performanzrelevant; Monitoring signalisiert: Hier beobachtet die Regulatorik affektive Selbststeuerung unterhalb der Doping-Schwelle.

Grauzonen & Nebenfolgen: Wenn Kontrolle selbst Affekte erzeugt

Kontrolle ist nicht neutral: Whereabouts, Tests, Pässe erzeugen eigene Affekte (Anspannung, Misstrauen, Scham). Sie können die Bereitschaft zu „Risikokompromissen“ steigern („nur noch dieses Spiel“) oder – positiv – Schutzroutinen stabilisieren (medizinische Zweitmeinung, Karenzdisziplin, Peerkultur gegen „Schmerzmittel als Pflicht“). Für die Kurve bedeutet das: Auch Fans und Staff partizipieren an einer Kultur, die entweder Risikostolz heroisiert – oder Care als Professionalität markiert.

Feldheuristik & Codes (Work-in-Progress)

  • Affektmodulation: Wo wird Angst gesenkt, Antrieb erhöht, Schmerz ausgeblendet – und mit welchen Mitteln?
  • Regel-Navigation: Wie sprechen Spieler:innen/Staff über Karenzzeiten, TUEs, „saubere“ Alternativen?
  • Schmerz-Kultur: Wie präsent sind Analgetika im Alltag (Profi/Amateur)? Gibt es Gegen-Codes (No-Pill-Policy, Education)?
  • Monitoring-Signale: Welche legalen Stimulanzien/„Kicks“ übernehmen affektive Funktionen unterhalb der Doping-Schwelle?

Mini-Vignette (heuristisch)

„Nur die Spritze, dann geht’s.“ – Leiser Raum, grelles Licht. Draußen peitscht die Kurve. Drinnen: Akten, Karenzzeiten, Unterschriften. Der Moment zeigt, dass Enhancement eine Gefühlspolitik ist: zwischen Mut und Müdigkeit, zwischen Pflicht und Person.

Leitfragen

  • Wie verschiebt Enhancement (legal/illegal) die gefühlten Grenzen von Angst, Schmerz und Müdigkeit?
  • Welche Regulatorik (ABP, TUE, Karenz) wirkt im Fußball tatsächlich präventiv – und wo entstehen neue Grauzonen?
  • Wie lassen sich „Care-Codes“ (Schmerzkompetenz, Zweitmeinung, No-Pill-Routinen) institutionell stärken?
  • Welche Rolle spielen Fans/Medien dabei, Risiko-Heroisierung zu entkräften und professionelle Vorsicht aufzuwerten?

Literatur & Links

World Anti-Doping Agency (WADA). (2024). Prohibited List 2025 (in Kraft seit 01.01.2025). PDF

WADA. (o. J.). Athlete Biological Passport. ABP-Überblick

WADA. (2021/2022). Guidance: Glucocorticoids & TUE (Verbot injizierbarer/oraler/rek­taler GCs im Wettkampf). Mitteilung

WADA / NADA. (2023/2024). Tramadol: ab 2024 im Wettkampf verboten. WADA-News · NADA-Hinweis

WADA. (2010). Pseudoephedrine – Additional Information (Schwellenwert 150 µg/ml im Wettkampf). PDF

WADA / NADA. (2024/2025). Monitoring Program (u. a. Koffein/Nikotin beobachtet; jährliche Updates). WADA-Seite · Überblick 2025

Trinks, A., et al. (2021). Schmerzmittelgebrauch im deutschen Profifußball: Auswertung von Dopingkontrollformularen. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin. PDF

Zandonai, T., et al. (2023). Use of analgesics in professional soccer players: A systematic review. Apunts Sports Medicine. Author PDF

Universität Regensburg. (2024). Schmerzmittel im Amateurfußball – Prävalenz & Einflussfaktoren. Dissertation

NADA Deutschland. (2024). Verbotsliste 2025 – Änderungen (Infoblatt). PDF


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