Sinn und Unsinn von Trainerwechseln während der Saison

und die Ambivalenz der Fan-Identifikation


Der Mythos des Trainerwechsels: Was Studien sagen

Die Frage, ob ein Trainerwechsel während der Saison sportlich sinnvoll ist, wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert – und die Wissenschaft liefert kein eindeutiges Bild. Eine vielzitierte Studie der Universität Münster analysierte über 150 Trainerwechsel in der Bundesliga und kam zu dem Schluss, dass die betroffenen Mannschaften danach „genauso gut oder schlecht“ spielten wie zuvor. Die Spielstärke, so die Forscher, bleibe weitgehend unverändert; der Wechsel sei oft eher ein „Würfelspiel“ (Wie wir alle wissen ist Fußball wie Schach, eben nur ohne Würfel) als eine strategische Maßnahme. Die Hälfte der Studien zeigt positive Effekte, die andere Hälfte keine – ein uneinheitliches Bild, das vor allem von der Methodik abhängt: Wer nur Punkte zählt, übersieht, dass auch Kontrollgruppen ohne Wechsel sich oft verbessern, einfach weil die Saisonverläufe natürlichen Schwankungen unterliegen.

Dennoch halten Vereine an der Praxis fest. Warum? Weil der Fußball nicht nur von Rationalität, sondern von Emotionen, Erwartungen und dem Bedürfnis nach Handlungskontrolle geprägt ist. Ein Trainerwechsel signalisiert den Fans: „Wir tun etwas!“ – selbst wenn der Effekt oft nur kurzfristig ist. Die Psychologie dahinter ist klar: In Krisen sehnen sich Menschen nach Veränderung, selbst wenn diese objektiv wenig bringt. Der Fußball lebt von dieser Spannung zwischen Rationalität und Affekt, zwischen Statistik und Hoffnung.


Miroslav Klose: Vom Bayernstar zum „echten Cluberer“

Mein persönliches „Mitleiden“ mit Miroslav Klose ist ein perfektes Beispiel für eine der Ambivalenzen meines Fan-Seins. Klose, einst Star des FC Bayern und Nationalheld, ist heute Trainer des 1. FC Nürnberg – und wird dort als „einer von uns“ gefeiert, obwohl er nie als Spieler oder anderweitig für den Club aktiv war.

Warum?

Weil Identifikation im Fußball nicht an Fakten, sondern an Narrativen hängt. Klose inszeniert sich als „Bauchmensch“, der „Tradition, Leidenschaft und ehrliche Arbeit“ betont – Werte, die perfekt zum Selbstbild des FCN passen. Seine Sympathie, seine Bodenständigkeit (er war einst Tischlerlehrling) und seine Bereitschaft, sich mit dem Verein zu identifizieren („Ich will den ganzen Tag hier sein“), machen ihn zur Projektionsfläche für Sehnsüchte der Fans (A weng was vom Bayern-Glanz. Oder derfs a bissl mehr sa?). Dass er finanziell abgesichert ist, spielt keine Rolle: Es geht nicht um sein Bankkonto, sondern um das Gefühl, dass er „versteht, worum es geht“.

Die Psychologie erklärt dieses Phänomen u.a. mit dem Konzept der sozialen Identität (Tajfel, Turner 1986). Als Soziologie führe ich zudem die soziale Rollentheorie (Dahrendorf 1965) ins Feld: Fans definieren sich über die Zugehörigkeit zu ihrem Verein. Wenn ein Star wie Klose diese Zugehörigkeit betont, wird er zum Symbol für die eigenen Werte – selbst wenn er früher für den Erzrivalen spielte. Die Identifikation ist kein rationaler Akt, sondern ein emotionaler: Sie stärkt das Selbstwertgefühl („Wir haben einen Weltmeister!“) und schafft Gemeinschaftsgefühle, die im Alltag oft fehlen. Dass Klose nun „Cluberer“ ist, obwohl er es eigentlich nicht „verdient“ hat, zeigt, wie flexibel diese emotionalen Bindungen sind. Der Fußball erlaubt es uns, Loyalitäten neu zu verhandeln – anders als im „echten Leben“, wo solche Wechsel oft als Verrat gelten würden. Soziologisch gesprochen erlauben uns diese Mechanismen in der Gesellschaft im Allgemeinen und hier beim Fußball im Besonderen den Wechsel, die Anpassung, das Ab- und Anstreifen von sozialen Rollen und den Erwartungen, die an diese gebunden sind.

Ähnlich ambivalent ist die Geschichte von Johannes Geis. Als er 2013 im Derby für die SpVgg Fürth traf, wurde er zum Helden der Kleeblatt-Fans. Doch nach seinem Wechsel zum 1. FC Nürnberg 2019 akzeptierten ihn die Club-Fans schnell – nicht trotz, sondern wegen seiner Vergangenheit. Geis‘ Tor für Fürth war plötzlich „Vergangenheit“, seine neue Rolle als Nürnberger Leader wurde betont. Warum diese schnelle Umdeutung? Weil der Fußball performative Identitäten schafft: Es zählt nicht, was jemand war, sondern wie er sich jetzt verhält(?!?).

Diese Ambivalenz fasziniert mich. sie zeigt uns, wie schnell (sozial) konstruiert, dekontruiert und neu konstruiert professionelle Identitäten sind. Im Stadion können wir Mäntel der Gefühle an- und ausziehen, weil der Fußball ein Resonanzraum (Rosa 2016) für kollektive Emotionen ist: Hier dürfen wir hassen, lieben, verraten und verzeihen.

Die Fans projizieren ihre eigenen Sehnsüchte nicht nur auf den Verein sondern auch auf die Spieler solange sie die Farben des Vereins tragen. Und manchmal darüber hinaus. So bin ich selbst nach wie vor ein großer Fan des Aufstiegskapitäns Hanno Behrens.

Bei Klose ist es mit Blick auf ein wenig Bayern-Dusel Hoffnung auf einen Aufstieg und dann wieder erstklassiger Tradition. Bei Behrens bleibt mir die Erinnerung an (m)eine geilste Saison vor dem Aufstieg (und dem folgenden Abstieg) in die (aus der) Bundesliga.


Warum uns diese Ambivalenz fasziniert

Die Fähigkeit, Loyalitäten schnell zu wechseln, ist zentral für die Faszination des Fußballs. Sie spiegelt unsere eigene Ambivalenz wider: Wir sehnen uns nach Beständigkeit („Tradition!“), aber auch nach Veränderung („Neuer Trainer, neue Hoffnung!“). Der Fußball bietet einen Raum, in dem diese Widersprüche ausgelebt werden können – ohne reale Konsequenzen. Hier dürfen wir regressiv werden (im Sinne der Psychoanalyse): Wir verschmelzen mit der Masse, feiern oder leiden kollektiv, und erleben so ein Gefühl von Geborgenheit, das der individualisierte Alltag oft verweigert.

Gleichzeitig zeigt die Ambivalenz die Macht der Narrative. Klose ist nicht „echter“ Cluberer, weil er es objektiv ist, sondern weil die Fans es so erzählen. Diese Flexibilität macht den Fußball so emotional: Er erlaubt es uns, unsere Identität immer wieder neu zu erfinden – und dabei doch das Gefühl von Authentizität zu bewahren.


Trainerwechsel als ein Moment der Magie im Fußballs

Trainerwechsel sind oft sinnlos – aber sie sind notwendig, weil sie die Illusion von Kontrolle und Hoffnung aufrechterhalten. Die schnellen Wechsel der Fan-Loyalitäten sind irrational – aber sie sind essenziell, weil sie Gemeinschaft stiften.

Der Fußball ist kein Ort vulkanischer Logik, sondern der affektiven Bindungen. Dass ich mit Klose und immer wieder mal mit dem Bundestrainer leide, obwohl beide (und viele andere Akteure im Profifußball) finanziell mehr aks abgesichert sind. Es geht nicht um Fakten, sondern um Gefühle, im Guten wie im Schlechten, beim Aufstieg wie beim Abstieg. Und genau das macht den Fußball zu dem was er ist:

Pure LEIDENschaft!

Aber sind die Spieler dann soziale Rollen-Hülsen die mit Bedeutung gefüllt werden – je nach Bedarf? Spieler wechseln nach wenigen Saisons. Die überwiegende Mehrheit von Fans aber bleibt ihrem Verein ein Leben lang treu.

Ob ich für 2,5 Mio. EUR Transfererlös mein Fan-Herz einem anderen Verein schenken (sic!) könnte?

Hätte, hätte, Fahrradkette!


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