Auch Erik Olin Wrights Lehren aus der Shmoo‑Parabel finden hier ihren Platz: Ein fiktives Wesen deckt Grundbedürfnisse (Essen, Wohnen, Gesundheit) für alle ab. Wer profitiert? Wer verliert? Übertragen auf den Fußball wird sichtbar, welche Abhängigkeiten Spieler:innen von Vereinen/Verbänden haben – und wie Dekommodifizierung diese Machtverhältnisse verschieben würde (Wright 1997; Wright 2010; Capp 1948).
Abhängigkeiten der Spieler:innen: Beschäftigung, Körper, Karrierefenster
- Arbeitsvertrag & Transferregime: Bindungsfristen, Optionen, Ausbildungsentschädigungen und Wechselfenster begrenzen Exit‑Optionen. Image‑ und Persönlichkeitsrechte koppeln Einkommen an Club‑Infrastruktur und Markenlogiken (Wright 1997).
- Körper & Risiko: Verletzungen, Formschwankungen und Alterskurven machen Erwerbsbiografien kurz und volatil; Versicherungen und medizinische Ressourcen liegen häufig asymmetrisch in Vereinsverantwortung.
- Karriere nach der Karriere: Doppelbelastung (u.a. für Frauen / i. unteren Ligen) Abhängigkeit von Netzwerken für Trainer‑/Scouting‑/Medienjobs; ohne institutionelle Anschlussmodelle steigt die Marktabhängigkeit.
Geschlechter‑ und Ligaeffekte: Ungleichheiten im Blick
- Top‑Ligen Männer: Hohe Löhne, aber Abhängigkeit über Vertragsarchitektur, Reputations‑ und Verletzungsrisiken; starke Re‑Kommodifizierung durch Marketing und Sponsoring.
- Frauenfußball: Häufig niedrigere Löhne, kürzere Verträge, teilweise semi‑professionelle Strukturen, Doppelbelastungen. Abhängigkeiten sind materieller (Existenzsicherung) und organisationaler Natur (Ressourcen, Trainingszeiten, medizinische Versorgung).
- Unter‑ und Nachwuchsligen: Prekarität, kurze Verträge, geographische Mobilität, Zweit‑/Nebenjobs. Machtasymmetrien gegenüber Vereinen/Agenturen besonders ausgeprägt.
Dekommodifizierung im Fußball: Was es heißen kann
Mit Esping‑Andersen verstehe ich Dekommodifizierung als die Möglichkeit, ein akzeptables Leben unabhängig vom Markt zu führen (Esping‑Andersen 1990). Auf das Spielfeld übertragen:
- Lebensrisiken absichern: Mindeststandards zu Gehalt, Gesundheit, Unterkunft, Weiterbildung; tragfähige Pensions‑ und Re‑Qualifizierungsmodelle.
- Arbeitsmacht stärken: Kollektivverträge, Mitbestimmung, faire Agentur‑/Beraterregeln; transparente Verletzungs‑ und Rückkehrprotokolle.
- Gendergerechtigkeit: Mindestgehälter, Eltern‑/Mutterschutz, Infrastrukturparität; klare Schutz‑ und Sanktionsmechanismen gegen Diskriminierung.
- Ligaregulierung: Einnahmen‑Sharing, Solidarmechanismen, Aufstiegs‑/Abstiegs‑Puffer, damit Wettbewerbsdruck nicht in Dumping bei Spieler:innen umschlägt.
Das Shmoo‑Experiment: Gedankenversuch für das Feld
Ich spiele durch, was passiert, wenn „Shmoos“ im Fußball grundlegende Lebensrisiken abfedern:
- Vereins‑/Eigentümerinteressen: Ein garantierter Grundstandard erhöht die Austritts‑ und Verhandlungsmacht der Spieler:innen; naheliegende Reaktion: Begrenzung/Kooptation des Shmoo (z. B. über Caps, Lizenzauflagen, exklusive Club‑Leistungen), um Abhängigkeit wieder zu binden (Wright 2010).
- Stars: Ambivalente Interessen. Einige profitieren weiter von Renten (Knappheit), andere fürchten Lohnkompression. Politisch möglich: Allianz mit Prekären aus Solidarität – oder Distanz, um Marktprämien zu sichern.
- Frauen & Unterligen: Höchster Nettonutzen: Sinkende Exit‑Kosten erlauben Widerspruch gegen schlechte Bedingungen, fördern Organisationsdichte (Gewerkschaften, Netzwerke) und erhöhen Sichtbarkeit.
- Verbände/Ligen: Spannungsfeld zwischen sozialer Legitimation (Schutzstandards) und Verwertungslogiken (Wettbewerb, Medienrechte). Tendenz zur Re‑Kommodifizierung über Reglemente.
Heuristik für die Grounded‑Theory‑Arbeit
- Sicherungsniveau: Welche Mindeststandards gibt es zu Lohn, Gesundheit, Bildung, Karriereübergang?
- Organisationsmacht: Wie dicht und handlungsfähig sind Spielergewerkschaften/Netzwerke – und wie ist ihre Kopplung an Vereins‑/Verbandsarenen?
- Gatekeeping‑Punkte: Wo binden Transfer‑, Lizenz‑ und Kaderregeln Abhängigkeit, wo öffnen sie Exit‑Routen?
- Gender‑Indikatoren: Parität bei Ressourcen/Medizin/Logistik; Schutzstandards; Umsetzung und Sanktionspraxis.
- Affekt‑Ökonomie: Stolz, Angst, Scham als Begründungsstile in Verhandlungen; wie werden sie strategisch mobilisiert?
Leitfragen für unser Projekt
- Wo erzeugt die aktuelle Architektur aus Verträgen, Transfers, Medienrechten systematische Abhängigkeiten – und wie zeigen sie sich in unterschiedlichen Ligen/Geschlechtern?
- Welche Elemente von Dekommodifizierung sind im Fußball realistisch – und welche Effekte auf Machtverhältnisse sind zu erwarten?
- Wie verändert ein „Shmoo‑ähnlicher“ Grundschutz die Verhandlungsmacht von Spieler:innen – und wie reagieren Clubs/Verbände darauf?
- Welche Indikatoren eignen sich, um Fortschritte oder Rückschritte empirisch zu messen?
Literatur
Capp, A. (1948). The Shmoo (Comic‑Parabel in „Li’l Abner“).
Esping‑Andersen, G. (1990). The Three Worlds of Welfare Capitalism. Polity Press.

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