2.2.3.3 Mead – Play And Game

Teaser

Fußball wäre im Sinne von George H. Mead ein Lernraum des Selbst: Vom Play (Rollen ausprobieren) über das Game (koordinierte Mannschaft mit Regeln) hin zum generalized other (verinnerlichte Erwartungen von Verein, Szene, Verband). So wird sichtbar, wie wir im Fußball Ich werden – nicht allein, sondern miteinander (Mead 1934).

Hinführung: Warum Mead für mein Projekt?

Mead hilft, Affekte und Kontrolle sozial‑praktisch zu denken: Menschen definieren in Interaktion ihr „Selbst“ – durch Rollenübernahme und Regelorientierung. Fußball ist ein soziales Labor: Kinder imitieren Idole (Play), Teams lernen Systemlogik (Game), und irgendwann „hört man“ beim Passspiel die Stimme der Mannschaft – den generalized other (Mead 1934).

Kernideen – knapp und anwendungsnah

Play (Rollen ausprobieren)

Im Play mit mir selbst nehme ich die Rolle einzelner signifikanter Anderer an: Ich bin heute Stürmer:in, morgen Keeper. Es geht um Einfühlung und Spontaneität – wenig Koordination, viel Als‑ob (Mead 1934).

Game (regelgebundene Koordination)

Im Game muss man zugleich mehrere Rollen und Regeln im Blick haben: Ich passe nicht nur zum freien Flügel, sondern antizipiere, was die anderen tun sollten. Hier entsteht kollektive Orientierung – Taktik, Timing, Disziplin (Mead 1934).

Generalized Other (verinnerlichte Erwartungen)

Irgendwann klingen in einem die Stimmen der Anderen weiter: Trainer:in, Team, Schiri, Verein, Szene. Diese verinnerlichten Erwartungen werden zum Kompass für legitimes Handeln („hier pfeift man nicht gegen die eigenen Jungen“) – auch ohne äußere Anweisung (Mead 1934).

I und Me (Spontanität und Norm)

Mead unterscheidet das spontane I (Impuls) und das reflektierte Me (soziale Spiegelung). Gutes Spiel ist Dialog zwischen I und Me: Kreativität innerhalb der geteilten Ordnung. Entgleist der Dialog, kippt es in Entgrenzung oder Affektmüdigkeit (Mead 1934).

Anwendung auf den Fußball

  • Nachwuchs (U9–U13): Viel Play: Imitation, Dribbling, kleine Spiele. Lernziel: Rollenwechsel – Tor, Abwehr, Sturm; Empathie für Mitspieler:innen (Mead 1934).
  • Leistungsbereich (U15+ / Herren/Damen): Übergang zum Game: Pressing‑Trigger, Raumaufteilung, Standards. Lernziel: antizipierende Koordination – mehrere Rollen simultan mitdenken (Mead 1934).
  • Kurve & Verein: Der generalized other spricht in Chants, Codes und Hausregeln; Fans internalisieren „was man hier tut“ – Unterstützung, Ironie, Grenzen. Governance wird wirksam, wenn sie Anschluss an diesen inneren Chor findet (Mead 1934).
  • Affekte koppeln: Play liefert Energie, Game liefert Rahmen; der generalized other macht aus Affektschwung tragende Praxis (Mead 1934).

Heuristik für das Feld

Play → Game → Generalized Other als Beobachtungskette:

  1. Wo sehe ich Rollen‑Spiel (Nachahmung, spontane Einfälle)?
  2. Wo kippt es in Regel‑Spiel (Abstimmung, wiederkehrende Muster)?
  3. Welche verinnerlichten Stimmen strukturieren Verhalten (Team‑Ethos, Fankodex)?
    Ich lege Codes für Rollenübernahme, Mehrrollen‑Antizipation, Ethos‑Marker an (Mead 1934).

Mini‑Vignetten (Feldnotizen)

  • Training U11: „Heute bin ich Torwart!“ – zwei Paraden, dann jubelt das ganze Team. Das Play wird zur Szene, die Gemeinschaft stiftet (Mead 1934).
  • Aufbau U19: Sechser zeigt mit der Hand, Außenverteidiger startet vor dem Pass. Das ist Game: antizipierte Koordination (Mead 1934).
  • Kurve: Nach Gegentor kurze Stille, dann ruhiger Chor. Man „hört“ den generalized other: Jetzt tragen wir (Mead 1934).

Forschungstagebuch

Mead bietet eine lernlogische Brücke zwischen Affekt (Schwung) und Kontrolle (Ordnung). Erfolglose Szenen sind oft Play ohne Game oder Game ohne generalized other. Nächster Schritt: Sequenzen codieren, in denen Team‑Timing kippt – und prüfen, welche Ethos‑Sätze in Chats/Interviews als „Stimme“ auftauchen (Mead 1934).

Leitfragen

  • Wie verschieben sich Anteile von Play und Game über Altersstufen, Ligen, Geschlechter? (Mead 1934)
  • Welche Ethos‑Marker bilden den generalized other in Vereinen (z. B. „keine Pfiffe“, „Gemeinsam auswärts“)? (Mead 1934)
  • Wie balancieren Spieler:innen I/Me in Drucksituationen – wann wird Kreativität riskant, wann rettend? (Mead 1934)
  • Welche Trainings‑/Fan‑Interventionen stärken die Übergänge Play→Game→Generalized Other? (Mead 1934)

Literatur (APA 7)

Interne Bezüge

  • 2.2.1 Affekte, 2.2.2 Affektkontrolle, 2.2.3.2 Dahrendorf (Konflikte als Lernmomente)
  • 1.2.4.13 Amateurspieler:innen, 1.2.4.14 Vereinslokalist:innen (Ethos‑Bildung außerhalb des Rasens)

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