Teaser
Ich rücke Affekte ins Zentrum: Sie sind der Dreh‑ und Angelpunkt meines Projekts – als Beziehungsenergie, die Szenen trägt, Konflikte antreibt und Zugehörigkeit (und Ausschluss) auch im Ärger stabilisiert. Ohne Affekte gibt es keine Fankultur, nur Logistik. Welches Bild passt besser als das der Geisterspiele während der Corona-Epidemie.
Hinführung: Warum Affekte ins Zentrum?
Ich setze Affekte ins Zentrum, weil sie (1) bindend wirken. Resonanz geben (Rosa, 2016), (2) im Fußball zivilisatorisch geformt werden (Elias & Dunning, 2008/1986) und (3) kollektiv erzeugt sind (Collins, 2004; Ahmed, 2004). Methodisch ermöglicht mir der Fokus, Erleben, Regeln und Räume als zusammenhängende Praktiken zu analysieren – vom Mikrogestus bis zur Verbandsordnung.
Begriffe & Abgrenzungen (kurz)
- Affekte: körper‑relationale Antriebe, zirkulierende Energien (Brennan, 2004).
- Emotionen: erzählte, normierte Benennungen (Ahmed, 2004; Wetherell, 2012).
- Affektkontrolle: Rahmung, Dosierung, Umlenkung – nicht bloße Unterdrückung (Elias & Dunning; Goffman, 1986/1967).
- Resonanz: tragfähige Weltbeziehung, die Überforderung dämpft (Rosa, 2016).
Analytisches Gerüst
- Kette: Impuls → Aufladung → Rahmung → Folge (2.2.1).
- Ebenen: Mikro/Meso/Makro (2.2.2).
- 4R‑Heuristik: Regeln – Rituale – Räume – Rhythmen (2.2.2).
- Zielbild: Regulierte Resonanz statt Affektmüdigkeit oder Entgrenzung.
Konsequenzen für Sampling & Fallauswahl
Ich wähle Fälle, die Entfaltungen/Brüche von Affekten maximal variieren:
- Idealtypen: Traditionalist:innen (1.2.4.12), Amateurspieler:innen (1.2.4.13), Vereinslokalist:innen (1.2.4.14).
- Settings: Heim/Auswärts, Steh/Familienblock, Vereinslokal/Sportsbar, Trainingswoche/Spieltag.
- Achsen: Affektäußerung ↔ Kontrolle ↔ Widerstand, Tradition/Heimat ↔ Inklusion/Exklusion, Lokal ↔ Global (Polyamorie).
Daten & Verfahren
Beobachtung: Zeitmarker T‑5/T/T+5, sensorische Protokolle (Licht, Geräusch, Geruch), 4R‑Mapping.Interviews: Fans (m/w/d; queer/nicht‑queer), Amateurspieler:innen, Trainer:innen, Schiris, Wirt:innen.Artefakte: Banner, Fanzines, Vereinsordnungen, Team‑Chats (anonymisiert).Presseschau‑Pipeline: tagesaktuelle Artikel + Fanstimmen als Diskurs‑Resonanz (nur auswertbare Quellen).GT‑Workflow: Offenes → axiales → selektives Kodieren; Memos; Negativfälle.
Qualitätskriterien & Ethik
- Triangulation (Daten/Methoden/Forscher:innenrolle), Transparenz (Werkstatt‑Memos statt „glatter“ Texte), Nachvollziehbarkeit (Codebuchpflege).
- Ethik: informierte Einwilligung, Anonymisierung (insb. bei Chats), Schonung verletzlicher Gruppen; Sichtbarkeit nüchterner Alternativen im Vereinslokal (Anschluss an 1.2.4.14 „kritische Würdigung“).
Erwartete Beiträge
- Theorie: Konzept regulierter Resonanz; Affekte als Infrastruktur (nicht Nebenprodukt).
- Methode: praktikable Werkzeuge (Zeitmarker‑Mapping, 4R‑Protokoll, Affekt‑Kurven).
- Praxis: Hinweise für Vereine/Fanszenen, wie Affekträume inklusiver und tragfähiger gestaltet werden.
Risiko & Begrenzungen
- Over‑Affektisierung (alles als Affekt lesen) → Gegenmittel: Negativfälle, Gegenhorizonte (Ökonomie, Recht).
- Datenzugang (Chats, interne Regeln) → Gegenmittel: abgestufte Einwilligungen, Beobachtungsalternativen.
- Forscher:innenaffekte (Eigenbeteiligung) → Gegenmittel: Reflexionsprotokolle, Peer‑Debriefing.
Mini‑Vignetten (aus meinem Feldnotizbuch)
Drehpunkt Kneipe: Nach dem 0:2 bleibt der Tisch zusammen – die Wirtin legt Wasser auf die Karte, das Gespräch kippt von Wut zu Planung (Bus für nächste Woche).Drehpunkt Kurve: Nach Gegentor T+1‘: zwei Trommelschläge, ruhiger Chor; Affekt schaltet von Stau auf Tragen.
Forschungstagebuch
Ich notiere: Affekte als Infrastruktur funktioniert als Leitstern – ich verliere Details nicht, weil 4R und Zeitmarker Orientierung geben. Nächster Schritt: Prototyp Affekt‑Atlas (Stadion/Straße/Kneipe) und Resonanz‑Kurven pro Setting; Abgleich mit Interview‑Vignetten.
Leitfragen
- Welche Kombinationen aus Regeln, Ritualen, Räumen und Rhythmen stabilisieren Resonanz trotz Niederlagen?
- Wo produzieren Makro‑Eingriffe Affektmüdigkeit – und welche Gegenpraktiken entstehen?
- Wie verändern Gender/Queer‑Affektstile die Grammatik der Kurve und des Vereinslokals?
- Welche Affekt‑Objekte (Schals, Banner, Sitzreihen) speichern Zugehörigkeit – und wie werden sie „(um)codiert“?
Literatur (APA 7 + Links)
- Ahmed, S. (2004). The cultural politics of emotion. Edinburgh University Press.
- Assmann, J. (1999). Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. C.H. Beck.
- Brennan, T. (2004). The transmission of affect. Cornell University Press.
- Collins, R. (2004). Interaction ritual chains. Princeton University Press.
- Elias, N., & Dunning, E. (2008). Quest for excitement: Sport and leisure in the civilising process (Rev. ed.). University College Dublin Press. (Original work published 1986).
- Illouz, E. (2007). Cold intimacies: The making of emotional capitalism. Polity.
- Rosa, H. (2016). Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp.
- Scheer, M. (2012). Are emotions a kind of practice (and is that what makes them have a history)? History and Theory, 51(2), 193–220.
- Wetherell, M. (2012). Affect and emotion: A new social science understanding. SAGE.
Interne Bezüge (Projekt)
- 2.2.1 Affekte – Grundbegriffe, Kette Impuls → Aufladung → Rahmung → Folge.
- 2.2.2 Affektkontrolle – Ebenen & 4R‑Heuristik.
- 1.2.4.12–14 Idealtypen – empirische Anker (Traditionalist:innen, Amateurspieler:innen, Vereinslokalist:innen).
- Presseschau‑Ring – wöchentliche Diskurs‑Resonanz als Datenquelle zum Spieltag (in Arbeit).

Schreibe einen Kommentar