1.2.4.13 Amateurspieler

Teaser

Dieses Kapitel widmet sich den Amateurspieler:innen – jenen, die zwischen Job, Studium und Familie Woche für Woche Fußball spielen, nicht nur lieben. Sie sind keine „kleinen Profis“, sondern eine eigene Figur: Sie tragen den Sport in die Nachbarschaft, in Dörfer und Städte – und halten das soziale Gewebe des Fußballs am Laufen.

Hinführung: Was meine ich mit „Amateurspieler:innen“?

Als Amateurspieler:innen bezeichne ich Aktive vom Kinder‑ bis zum Erwachsenenbereich, die ohne Profivertrag in Vereinen trainieren und an Pflichtspielen teilnehmen – von der Kreisklasse bis zur semi-professionellen Regionalliga. Sie bewegen sich zwischen Fan, Spieler:in, Ehrenamt und Community‑Arbeit. Ich setze diesen Idealtypus ein, um Routinen, Affekte und Konflikte ihres Alltags sichtbar und vergleichbar zu machen (vgl. Weber, 1980/1922). Für mich gehört diese Figur in die Untersuchung, weil sie zeigt, wie Fußball als soziale (Vereins-)Praxis – nicht nur als Event – Gesellschaft formt (vgl. Elias & Dunning, 2008/1986).

Worum es geht

Doppelte Lebensführung: Brotjob & Ball

Dienstag Training, Mittwoch Spätschicht, Freitag Spielvorbereitung – und am Sonntag um 15:00 Uhr zum Spiel auf dem Platz. Diese getaktete Woche ist eine zeitökonomische Herausforderung: knappe Ressourcen (Zeit, Energie, Geld) werden so verteilt, dass Fußball trotzdem möglich bleibt. Daraus entsteht Stolz, aber auch Druck (Je höher die Liga, desto weiter die Reisen und desto höher der Druck).

Habitus, Kapital, Feld

Im Amateurfußball erscheinen soziale Lagen unmittelbar: Wer verfügt über Zeit, Mobilität, körperliches Kapital (Fitness, Verletzungsfreiheit) und soziales Kapital (Netzwerke im Verein/Quartier)? Mit Bourdieu lässt sich zeigen, wie das „Feld Fußball“ im Amateurbereich eigene Distinktionen ausbildet (wer „zieht“ die Truppe, wer bestimmt die Kabinenordnung?) und wie Anerkennung verteilt wird (vgl. Bourdieu, 1988/1993).

Räume & Infrastrukturen

Duschen, die kalt sind; Flutlicht, das nicht angeht; ein Kunstrasen, der entlastet – und ein Rasenplatz, der zum Mythos wird. Infrastruktur strukturiert Zugehörigkeit: Wer Trainingszeiten bekommt, wer die gute Kabine hat, wer den Schlüssel – und wer nicht.

Affekte: Spielen als Resonanz

Auf dem Platz erlebt man – und höre es in Interviews (Stand 29.09.2025 5 entsprechende Interviews) – Resonanzmomente: Wenn der Ball „läuft“, wenn eine Passfolge gelingt, wenn die Kabine nach dem Spiel in ein warmes, lautes Summen übergeht. Diese Momente binden stärker als Ergebnisse (vgl. Rosa, 2016) – und sie puffern Niederlagen ab (vgl. Elias & Dunning, 2008/1986).

Gender & Queerness: gleiche Leidenschaft, ungleiche Bedingungen

Frauen‑ und Mädchenteams gewinnen Sichtbarkeit, doch Rahmenbedingungen bleiben oft ungleich: spätere Trainingsslots, weniger Platz, dünnere Kader. Queere Spieler:innen berichten von Nischen der Sicherheit zwischen Risiken – und von Situationen, in denen Humor, Schweigen oder klare Ansagen als Schutztechniken dienen (vgl. Giulianotti, 1999; Cleland, 2015).

Migration & lokale Verankerung

Der Amateurfußball ist Integrationsraum: Neueinsteiger:innen finden Sprache, Kontakte, Routinen. Gleichzeitig existieren Grenzziehungen: „eigene“ und „fremde“ Vereine, A‑ und B‑Teams, Auswahlkriterien. Hier zeigt sich, wie Vereine Zugehörigkeit verhandeln – teils inklusiv, teils exkludierend.

Governance, Geld & Gegenwart des „modernen Fußballs“

Spielberichte in Apps, Strafen im DFBnet, Schiedsrichter:innenmangel, steigende Gebühren, Sponsor:innen aus dem Ort. „Moderner Fußball“ ist im Amateurbereich nicht fern, sondern Alltag: eine Mischung aus Bürokratie, Selbstverwaltung und Improvisation.

Grenzarbeit zum Leistungssport

Zwischen Traum und Realismus: Probetrainings, Scouts „die vorbeischauen“, Aufstiege, die neue Pendeldistanzen, Kosten und Abwesenheiten bedeuten. Übergänge sind brüchig – und doch strukturieren sie Ambitionen, Trainingsdisziplin und Selbstbilder.

Mini‑Vignetten (aus meinem Feldnotizbuch)

  • Mittwochabend, 21:15 Uhr: Wir ziehen die Hütchen ein. „Noch Physio?“ – „Morgen um sieben Dienst.“ Schulterklopfen ersetzt lange Worte.
  • Ein Derby in der Kreisliga: 180 Leute am Zaun, zwei Generationen Ordner:innen, Kuchenstand der Jugend. Nach dem 1:2: „Kopf hoch – nächste Woche A‑Jugend helfen.“

Forschungstagebuch

Amateurspieler:innen sind keine „kleinen Profis“, sondern Community‑Akteur:innen. Ihre Praxis erklärt, warum Fußball trägt, wenn Profi‑Schlagzeilen nerven. Theoretisch lese ich das als Affektökonomie (Leiden ↔ Resonanz) und als Feldarbeit (Habitus, Kapital, Distinktionen). Nächster Schritt: Team‑WhatsApp‑Chats (Artefakte) systematisch auswerten; Gender‑und Queer‑Erfahrungen gezielt nacherheben; Trainer:innen/Schiris als Kontrastgruppe befragen.

Leitfragen für die Grounded Theory

  • Wie organisieren Amateurspieler:innen Zeit und Affekte zwischen Arbeit/Studium/Familie und Fußball?
  • Welche Ressourcen (Zeit, körperliches/soziales Kapital) entscheiden über Teilhabe, Rollen und Anerkennung?
  • Wo entstehen Resonanzmomente – und wie werden sie sprachlich/körperlich markiert?
  • Wie wirken sich Gender und Queerness auf Zugang, Sicherheit und Karrierepfade aus?
  • Wie verhandeln Vereine Migration und Zugehörigkeit im Trainings‑/Wettkampfalltag?
  • Welche Grenzmechanismen trennen/amalgamieren Amateur‑ und Leistungssport?

Empirische Anknüpfung

  • Interviews: Spieler:innen (m/w/d, queer/nicht‑queer, Altersmix), Trainer:innen, Schiedsrichter:innen.
  • Beobachtung: Trainingswoche (Slots, Anreisen, Kabine), Spieltag (Vorbereitung/Nachbereitung), Apps & Verbandslogik.
  • Artefakte: Team‑Chats (anonymisiert), Vereinsordnungen, Ehrenamtsrollen, Sponsoringverträge (lokal).
  • Kontrastfälle: Traditionalist:innen (Tribüne) ↔ Amateurspieler:innen (Platz); Purist:innen (Authentizität) ↔ Grenzgänger:innen (Ambition).

Literatur

Interne Bezüge

  • Idealtypen: Traditionalist:innen, Purist:innen, Liebeskranke, Ultras – als Vergleich für Bindungslogiken.
  • Theorie: Affektökonomien, Resonanz, Feld/Habitus/Kapital.
  • Methode: Offenes → axiales → selektives Kodieren; Triangulation Interviews/Beobachtungen/Artefakte.

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