Teaser: Saint-Étienne ist Mythos in Grün: ein Verein, der als Arbeiterstadt-Kollektiv gelesen wird, dessen Stadion „Le Chaudron“ (der Kessel) Affekte bündelt – und der zugleich an der Sichtbarkeit von Frauen im Vereins- und Fanleben arbeitet. Dieser Beitrag zeichnet nach, wie Tradition, Affektökonomie und Gender zusammenwirken.
Hinführung
Schon der Weg zum Stade Geoffroy-Guichard trägt die Geschichte der Stadt mit: Bergbau, Metall, Gewerkschaftsplakate, alte Kneipen. Vor Derbys spürt man, wie Vergleiche (wir vs. die anderen) Affekte schieben: Stolz auf die eigenen Wurzeln gegen modernen Plastikfußball. Die Kurve inszeniert Authentizität – und die Stadt spiegelt sich im Verein. Mit dieser Brille fragen wir: Wie wird der Arbeiterklassen-Mythos aktualisiert? Wo öffnet er Räume für weibliche Beteiligung – und wo entstehen neue Zugangshürden?
Fallprofil
- Les Verts als identitäres Symbol: Verein und Stadt verschränken sich über Jahrzehnte, befeuert von Erfolgszyklen (10 Meistertitel) und ikonischen Epen der 1970er.
- „Le Chaudron“: Der Spitzname „Kessel“ des Stadions steht für Dichte, Lärm, Hitze – eine Verdichtung kollektiver Affekte (vgl. Erklärung zum Spitznamen und Medienadaptionen).
- Institutionalisierte Erinnerung: Das Musée des Verts macht den Mythos sichtbar (Trophäen, Erzählungen, Fankultur) und hält die Traditionssemantik lebendig.
Weibliche Beteiligung
- Sportlich: Die Féminines sind im Vereinsökosystem sichtbar (Kader‑News, Spielberichte, Foto-Tage). Diese öffentliche Sichtbarkeit ist ein Hebel für Inklusion – in Kurve, Nachwuchs, Medien.
- Szenisch: Fanmedien berichten regelmäßig über die Féminines und stützen so Routine‑Aufmerksamkeit (Transfers, Spieltage, Personalien).
- Ambivalenzen: Sichtbarkeit ≠ Gleichwertigkeit. Zeitbudgets, Ticketpreise, Sprachcodes in der Kurve und Gatekeeping können affektive Zugangshürden erzeugen.
Affektökonomie & Tradition
Die Arbeitertradition ist mehr als Nostalgie: Sie bietet moralische Währung gegen finanzielle Überlegenheit anderer Clubs („echt“ vs. „gekauft“). In der Affektökonomie wirken drei Hebel:
- Vergleich: Downward/Upward‑Vergleiche strukturieren Jubel/Frust (vgl. Beitrag Theorien des sozialen Vergleichs).
- Authentizität: „Tradition“ legitimiert Distinktion und bindet Leidenschaft an Werte (Arbeitsethos, Solidarität).
- Institutionalisierung: Museum, Vereinskommunikation und Medienframes machen Affektpfade verfügbar (z. B. Rückgriffe auf 1976, Heldenfiguren, Stadt‑Erzählung).
Aus dem Forschungstagebuch
- Memo „Kesselhitze“
- Memo „Routine-Aufmerksamkeit“
Leitfragen für Interviews & Beobachtung
- „Welche Szenen fühlen sich am meisten nach Le Chaudron an – und warum?“
- „Wo wird Tradition explizit als Gegenargument zu Kommerz benutzt?“
- „Wie und wo tauchen Frauen in der Fanroutine auf (Anreise, Block, Social Media)?“
Interne Verlinkungen
- 1.1.1 Fußball und LEIDENschaft
- 1.1.3 Affekte und Affektkontrolle
- 2.2.2.2 Theorien des sozialen Vergleichs – Warum wir jubeln, wenn die anderen leiden
Literatur
- Stadt & Politik: White Letters on Spoil Tips: The City of Saint‑Étienne between its Mining Past and Political Present – The Funambulist. Online lesen
- Vereinsgeschichte (offiziell): ASSE – Musée des Verts & Clubseiten. Website
- Spitzname Stadion: Pourquoi Geoffroy‑Guichard est renommée « Le Chaudron » (Herkunftserzählung). Artikel
- Féminines (aktuell): Toute l’actualité des Féminines – EVECT. Artikelübersicht
- Buch: Lions, B. (2020). La légende des Verts par ceux qui l’ont écrite. Hugo Sport. Verlag
- Buch: Chaumier, D. (2023). AS Saint‑Étienne – 90 ans de légende. Hugo Sport. Vereinsmeldung
- Bourdieu, P. (1982). Die feinen Unterschiede. Frankfurt. Suhrkamp. genialokal
- Theorie (Genialokal): Rosa, H. (2016). Resonanz. Frankfurt. Suhrkamp. genialokal

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