Kaum ein Thema spaltet die Fankultur so sehr wie die Frage: Ist Fußball politisch – oder nur Sport? Zwischen expliziten Gegenöffentlichkeiten (St. Pauli, Hapoel Tel Aviv) und vermeintlich „unpolitischen“ Erfolgs- oder Mainstream-Fans (Bayern München) verläuft eine zentrale Bruchlinie.
Politik als integraler Teil der Kurve
Am FC St. Pauli ist Politik untrennbar mit dem Fansein verbunden. Antifaschistische Choreos, Regenbogenfahnen, Solidaritätskampagnen für Geflüchtete – hier wird das Stadion als Plattform für Werte genutzt. Auch bei Hapoel Tel Aviv ist Fußball historisch in Arbeiterbewegung und linken Milieus verwurzelt. Die Kurve ist Ort der Artikulation gesellschaftlicher Konflikte, manchmal auch im direkten Gegensatz zu Verbänden oder Staat.
- Theoriebrücke: Fraser (1990) beschreibt solche Szenen als subalterne Gegenöffentlichkeiten, in denen marginalisierte Stimmen Gehör finden.
- Affektlogik: Freude und Wut werden politisch codiert – Emotionen sind hier nie „neutral“.
„Unpolitische“ Erfolgs- und Mainstreamfans
Bei Bayern München oder unter Erfolgsfans dominiert dagegen oft die Vorstellung: „Fußball ist Sport, keine Politik.“ Hier gilt das Stadion als sicherer Raum der Entlastung, frei von gesellschaftlichen Konflikten. Politik wird als Störung der reinen Fußballfreude empfunden – Affekte sollen entpolitisiert und auf Siege/Titel fokussiert bleiben.
- Theoriebrücke: Elias’ Konzept der kontrollierten Entgrenzung hilft zu verstehen: Emotionale Ausschläge sind erwünscht – aber innerhalb eines „unpolitischen“ Rahmens.
- Affektlogik: Jubel und Enttäuschung werden ausschließlich sportlich gedeutet, nicht gesellschaftlich.
Spannungsfeld & Widersprüche
Die Polarisierung „politisch“ vs. „unpolitisch“ ist jedoch selbst politisch: Auch die Verweigerung von Politik stabilisiert bestimmte Machtordnungen.
- Hybridformen: Selbst bei Bayern gibt es politische Faninitiativen (z. B. gegen Rassismus), während St. Pauli-Fans auch „nur Fußball“ feiern können.
- Konfliktlinien: Marketing von Vereinen nutzt zunehmend „politische Affekte“ (z. B. Diversity-Kampagnen), was zu Spannungen zwischen authentischem Protest und kommerzieller Vereinnahmung führt.

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