Leiden/Leidenschaft („LEIDENschaft“, Liebeskranker*, leidender Traditionalist).

Was steckt dahinter?

Im Fußball ist Leiden kein Makel – es ist Teil der Identität. Viele Fans definieren ihre Zugehörigkeit nicht nur über den Jubel, sondern gerade über das gemeinsame Durchstehen von Krisen. Der Code „LEIDENschaft“ verdichtet diese Dialektik von Liebe und Leid: Nur wer aushält, gilt als „echter“ Fan.

Typische Figuren

  • Der:die Liebeskranke: lebt in enger Bindung zum Verein, jede Niederlage trifft wie ein persönlicher Schlag.
  • Der:die leidende Traditionalist:in: inszeniert Treue trotz Misserfolgen, feiert das Durchhalten als Tugend.

Theoretische Brücken

  • Norbert Elias & Eric Dunning (1986): Sport erlaubt eine „kontrollierte Entgrenzung“ von Affekten – Leiden darf im Stadion kollektiv gezeigt werden.
  • Pierre Bourdieu (1992): Wer durchhält, sammelt symbolisches Kapital – Leiden wird zum Ausweis von Authentizität im Fußballfeld.
  • Hartmut Rosa (2016): Resonanz entsteht oft in Krisen – Leiden intensiviert die Bindung.
  • Émile Durkheim (1912): Kollektive Rituale (z. B. Schweigen, Trauerchoreos) verwandeln Schmerz in Gemeinschaft.

Psychologische Perspektive

  • Coping & Affektregulation: Humor, Selbstironie oder Trauerrituale helfen, den Schmerz zu bewältigen.
  • Belohnungsmechanismus: Die emotionale Achterbahn (Leid → Triumph) verstärkt die Bindung – vergleichbar mit variable rewards in der Psychologie.

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Eine Antwort zu „Leiden/Leidenschaft („LEIDENschaft“, Liebeskranker*, leidender Traditionalist).“

  1. Avatar von admin

    1. Erweiterung der Fan-Typologie

    Traditionelle Figuren bleiben zentral:

    Liebeskranke: Leiden als persönlicher Schlag
    Traditionalist:innen: Treue trotz Misserfolgen als Tugend

    Neue Gegenspieler:innen ergänzen das Bild:

    Fantourist:innen (1.2.4.11): Leiden wird vermieden (Konsum statt Bindung)
    Politisch motivierte Fans (1.2.4.9): Leiden wird in Widerstand transformiert
    Amateur-Rebellen: Profifußball wird abgelehnt (lokaler Spielbetrieb als Alternative)

    2. Theoretische Erweiterungen

    Bestehende Theorien behalten Gültigkeit:

    Elias/Dunning: Kontrollierte Entgrenzung von Affekten
    Bourdieu: Symbolisches Kapital durch Durchhaltevermögen
    Rosa: Resonanz durch Krisen
    Durkheim: Kollektive Rituale schaffen Gemeinschaft

    Neue theoretische Perspektiven ergänzen:

    Piketty: Kapitalisierung führt zu Entfremdung (Beispiel: TSV 1860 München)
    Marx: Fußball als Ware (Fantourist:innen als Konsument:innen)
    Fraser: Globale Ungleichheit beim Stadionzugang

    3. Psychologische Aspekte

    Traditionelle Fans:

    Coping-Strategien (Humor, Rituale) zur Schmerzbewältigung
    Belohnungsmechanismus durch emotionale Achterbahn

    Fantourist:innen:

    Vermeidung von Schmerz (kein Auftauchen bei „langweiligen“ Spielen)
    Erwartung garantierter Unterhaltung statt variabler Belohnung

    4. Zentrale Erkenntnisse

    Leiden ist nicht mehr universell:

    Traditionelle Fans: Leiden als Identitätsstifter
    Fantourist:innen: Leiden wird vermieden
    Politisch motivierte Fans: Leiden wird in Widerstand umgewandelt

    Kommerzialisierung verändert Leidenschaft:

    Früher: Treue trotz Leiden
    Heute: Erlebnis ohne Verpflichtung ODER aktivistischer Widerstand

    Globale Ungleichheit entscheidet über Teilhabe:

    Fantourist:innen: Privileg durch finanzielle Mittel/Reisefreiheit
    Fans aus globalem Süden: Exklusion durch Visumbeschränkungen/Kosten

    5. Offene Forschungsfragen

    Kann Fußball ohne Leiden noch Resonanz erzeugen?
    Ist Entfremdung unvermeidbarer Preis der Kommerzialisierung?
    Wie lässt sich globale Ungleichheit im Fußball systematisch abbilden?
    Können „Wochenend-Rebellen“ oder politisch motivierte Fans langfristig Gegenmodelle etablieren?

    6. Konsequenzen für die Kodierung

    Neue Kategorien einführen:

    „Entfremdung durch Kommerzialisierung“
    „Widerstand als Leidenschaft“
    „Globale Ungleichheit im Fußball“

    Theorie-Memos erstellen zu:

    Marx/Piketty: Kapitalisierung und Entfremdung
    Bourdieu/Fraser: Zugang und Exklusion

    Vergleichende Analysen durchführen zwischen:

    Liebeskranken vs. Fantourist:innen
    Traditionalist:innen vs. politisch motivierten Fans

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