Die*der Liebeskranke
Profil: Symbiotische Bindung, hohe Affektvolatilität, Leiden als Identitätskern.
Marker: „Trotz allem“-Semantik; starke Nachspielaffekte; Spielplan strukturiert die Woche.
Praktiken: Dauerkarten, Fanrituale, Selbstironie.
Risiko/Blind Spot: Erschöpfung; Exklusion „kühler“ Fans.
Übergänge/Trigger: Anhaltende Krisen → Traditionalist:in; Burnout → Polyamore Diversifizierung.
Die*der Traditionalist:in
Profil: Intergenerationelles Erbe; Leiden als symbolisches Kapital.
Marker: Familiennarrative; Kult um alte Stadien/Symbole.
Praktiken: Pflege von Ritualen, Ablehnung „Eventkultur“.
Risiko: Abwehr von Wandel; Gatekeeping.
Übergänge: Kommerzstress ↑ → Purist:in; Nachwuchsarbeit → Öffnung.
Ultras
Profil: Kollektivproduktion von Emotion (Choreo, Gesang, Pyro), klare Binnenregeln.
Marker: Capo-Strukturen; DIY-Ästhetik; „Kurve als Bühne“.
Praktiken: Choreo-Arbeit, Auswärtsfahrten, Kurvencode.
Risiko: Eskalationsspiralen; Maskulinitätsnormen.
Übergänge: Repression ↑ → Politische*r; Institutionalisierung ↑ → Mainstreamisierung.
Politische*r
Profil: Kurve als Gegenöffentlichkeit; Banner, Kampagnen, Allianzen.
Marker: Konsistente Werte-Frames (antirassistisch, queer-inklusiv etc.).
Praktiken: Protest, Vernetzung, Bildung.
Risiko: Moralisierung; Vereinnahmung durch Marketing.
Übergänge: Kooperation mit Club ↑ → Institutionalisierte Subkultur.
Polyamore
Profil: Mehrfachbindungen; Affektbalancierung über Zweit-/Drittvereine.
Marker: Parallele Fankommunen (lokal + global); guilt talk („Verrat?“).
Praktiken: Streaming/Foren; Fanreisen.
Risiko: Authentizitätsverdacht; Oberflächlichkeit.
Übergänge: Heftige Heimatkrisen → stärkere Globalbindung; lokale Re-Verwurzelung bei Aufstiegen.
Erfolgsfan
Profil: Nutzenlogik; Erfolg > Leiden.
Marker: Clubwechselhistorie; Star-/Titel-Orientierung.
Praktiken: Trikotaustausch, Großevents.
Risiko: Geringe Krisenresilienz; „Echtheits“-Konflikte.
Übergänge: Langzeitzugehörigkeit → Hybrid mit Purist/Traditionalist.
Purist:in
Profil: Suche nach „wahrem Fußball“ (kleine Stadien, wenig Branding).
Marker: Anti-Event-Rhetorik; Groundhopping jenseits der Topligen.
Praktiken: Amateurfußball, Stehplätze, Fanzines.
Risiko: Romantisierung; Ausschlussästhetiken.
Übergänge: Enttäuschung von Profifußball → Purismus; gute Clubpolitik → Rückbindung.
Tourist:in
Profil: Fußball als kulturelles Reiseformat („Stadien sammeln“).
Marker: Foto/Listen-Logik; Erfahrungsvergleich.
Praktiken: Groundhopping, Stadionmuseen.
Risiko: Oberflächlichkeit; Blick von außen.
Übergänge: Wiederbesuche, lokale Kontakte → Polyamor oder Purist:in.
Expert:in
Profil: Wissen als Affektträger; Taktik/Historie dominiert Emotion.
Marker: Stats, Archive, Longform-Analysen.
Praktiken: Blogs/Podcasts, Datenarbeit.
Risiko: De-Affektisierung; Elitismus.
Übergänge: Kurvenarbeit → Produzierende Rolle (Capo-Analytik?).
Trainer:in
Profil: Spiel als Entscheidungsraum; Mikro-Taktik > Makro-Emotion.
Marker: Formationssprache, Pressing-Frames.
Praktiken: Videoanalyse, Nachwuchsarbeit, Foren.
Risiko: Zynismus gegenüber Fankultur.
Übergänge: Erfolg/Einbindung → Expert:in/Institution.
Vielsport-Verfolger:in
Profil: Affekte verteilt über Sportarten; Fußball ent-zentriert.
Marker: Rotierender Kalender; Cross-Community.
Praktiken: Multi-Abos, Clubs als „Portfolio“.
Risiko: Geringe Tiefe je Szene.
Übergänge: Lokale Freundschaften → Re-Verwurzelung.
Hooligan
Profil: Affektstil konfrontativ; Fußball als Anlass und Bühne für körperliche Auseinandersetzung und Statuskämpfe („Firm“-Logik). Zugehörigkeit wird über Mut, Loyalität, Risikobereitschaft und Körperpräsenz markiert.
Marker: Treffpunkte abseits des Stadions; Codewörter; Dresscodes; Distinktion zu „Kurvenromantik“; geringe Toleranz für „Tourismus“.
Praktiken: Verabredete „Clashes“, Abschirmung nach innen, Rekrutierung/Sozialisation jüngerer Männer; Alkohol als Ritual; Affekterzeugung durch Adrenalin/Angstüberwindung.
Risiko/Blind Spot: Gewalt, Kriminalisierung, Stadionverbote; Verengung von Männlichkeitsnormen; politische Instrumentalisierung.
Übergänge/Trigger: Repression ↑ / Lebenslauf (Familie, Job) → Ausstieg oder Übergang zu Traditionalist:in (ruhigere, aber stolze Zugehörigkeit); Ultra ↔ Hooligan bei Eskalation/De-Eskalation (Grenze: Fokus „Support“ vs. „Konfrontation“).
Vereins-Lokalist:in
Profil: Ortsgebundene Fankultur im „dritten Ort“ (Kneipe/Clubheim). Kern ist Geselligkeit und Ritualität des gemeinsamen Schauens – auch ohne Stadion. Affekte werden sozial synchronisiert (Stammtisch, Gläser, Songs aus der Box).
Marker: Stammplätze, Running-Gags, persönliche Beziehungen zu Wirt:in/Abteilung; Vereinswimpel an der Wand; „Wir schauen hier seit Jahren“.
Praktiken: Gemeinsames Schauen mit Trinkritualen; Vereinsabende; Auswärtsfahrten seltener, aber Finalfahrten als Ausnahme; Mikro-Öffentlichkeit (Diskursraum mit niedriger Schwelle).
Risiko/Blind Spot: Exklusion durch Alkoholkultur (Nicht-Trinker:innen, Jugendliche); Gender-Schieflagen; Verharren im „Lokalen“ (geringe Anschlussfähigkeit an Gegenöffentlichkeiten).
Übergänge/Trigger: Nachwuchsarbeit/Öffnung → Traditionalist:in (Familienanschluss); Vereinsmodernisierung oder Kneipenschließung → Purist:in (Suche nach neuen „echten“ Orten) oder Polyamor (zweites „Zuhause“ in anderer Szene).
Drei schnelle Differenzialtests (verwechselungsfest)
- Traditionalist:in vs. Purist:in: Beide anti-Event – aber Traditionalist ist ort/biografie-gebunden, Purist eher ästhetisch-prinzipiell (auch ohne Familiengeschichte).
- Polyamore vs. Tourist:in: Beide plural – Polyamore hat tiefe Bindung an mehrere Vereine; Tourist:in sammelt Erfahrungen.
- Expert:in vs. Trainer:in: Beide kognitiv – Expert:in kuratiert Wissen; Trainer:in fokussiert Entscheidungen/Intervention.
- Ultra vs. Hooligan: Ultra = Produktion von Support (Choreo, Gesang) mit klarer Binnenregel; Hooligan = Suche nach Konfrontation als Primärziel.
- Traditionalist:in vs. Vereins-Lokalist:in: Beide lokal; Traditionalist:in bindet über Familien-/Vereinsgeschichte (Zeitachse), Lokalist:in über Ort & Gemeinschaftspraxis (Raumachse; Kneipe/Clubheim).
Übergangslogiken (wenn-dann-Skizzen)
- Repression ↑ → Ultra ↔ Politische*r (Radikalisierung/Verrechtlichung).
- Kommerzialisierung ↑ → Purist:in/Politische*r/Subkultur wächst.
- Dauerkrise Heimatklub ↑ → Polyamore Diversifizierung; Liebeskranke*r → Traditionalist:in.
- Gute Club-Partizipation ↑ → Politische*r/Subkultur → institutionalisierte Mitwirkung.
Feld- und Machtblick (komprimiert)
- Bourdieu: Typen ringen um Definitionsmacht (Was gilt als „echte Emotion“?).
- Elias/Foucault: Disziplinierung formt Affektstile; Überschreitung erzeugt Gegenmacht.
- Fraser/Butler/Ahmed: Gegenöffentlichkeiten verschieben Affektregeln (wer darf was fühlen/zeigen?).
- Rosa: Resonanz als Qualitätsmaß: Wo antwortet die Weltbeziehung – trotz/wegen Kontrolle?
Kodier-Cheatsheet (fürs GT-Memo)
- Indikator-Bundle (pro Fall 3–5 sammeln): Sprache, Rituale, Mediennutzung, Ortsbezug, Konfliktlinien.
- Achsen-Verortung (max. 3 Achsen): z. B. Bindungsmodus, Politik, Ortsbezug.
- Idealtyp-Nähe (Top-2): Haupttyp + Sekundärtyp (Hybridität dokumentieren).
- Memo-Frage: Was hält diesen Typ stabil? (Ressourcen) / Was bringt ihn zum Kippen? (Trigger).
Theoretisches Sampling – nächste Schritte
- Kontrastfall zu jedem Typ (z. B. Erfolgsfan ↔ Liebeskranke*r).
- Randfiguren (Hybride, Übergänge) gezielt nachziehen.
- Negativfälle sammeln (wo die Achsen scheitern).
- Hooligan: Bindungsmodus exklusiv, Affektstil hoch-expressiv/konfrontativ, Politikorientierung variabel, Rollenmodus produzierend (körperlich), Ortsbezug lokal-mobil (Treffpunkte).
- Vereins-Lokalist:in: Bindungsmodus exklusiv bis moderat, Affektstil gemeinschaftlich-expressiv, Politikorientierung niedrig-mittel, Rollenmodus konsumierend → ko-produzierend (Mikro-Öffentlichkeit), Ortsbezug hoch lokal.

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