
Liebe, Glaube, Leidenschaft: Dieses Projekt untersucht die Liebe zum Fußball. Oder wie der Soziologe sagen würde:
Es untersucht den Fußball als gesellschaftlichen Resonanzraum kollektiver Affekte, in dem sich soziale Dynamiken und emotionale Gemeinschaften auf ganz besondere Weise zeigen.
Fußball ist nicht nur ein Sportereignis, sondern ein Phänomen (im sprichwörtlichen Sinn des Wortes) von großem soziologischem Interesse. Diese Sportart wirft für Fans, Vereine und ihr gesellschaftliches Umfeld grundlegende Fragen zu Bindung, Identität und sozialer Zugehörigkeit auf.
Im Zentrum meiner langfristig angelegten Arbeit steht die empirisch-qualitative Analyse von Wechselwirkungen zwischen individuellen Emotionen und strukturellen Rahmenbedingungen – von der Fankurve über Vereinsstrukturen bis hin zu öffentlichen Diskursen:
- Wie funktioniert Fußball als Medium sozialer Integration und Abgrenzung?
- Wie werden Affekte in diesem Kontext erzeugt, kanalisiert und/oder kontrolliert?
- Welche Mechanismen der Affektsteuerung lassen sich in Fankulturen, Vereinspolitik und medialer Inszenierung beobachten?
Durch eine mehrdimensionale Perspektive (z.B. Mikroebene der Fans, Mesoebene der Vereine, Makroebene gesellschaftlicher Diskurse) will ich die sozialen Funktionen dieser Sportart verstehen, insbesondere ihre Rolle als Raum für emotionale Gemeinschaftsbildung, politische Artikulation und auch ökonomische Interessen.
Mein Interesse bewegt sich dabei u.a. im Spannungsfeld von:
- Leidenschaft und Kontrolle (z.B. Elias 1986)
- Authentizität und Inszenierung (z.B. Bourdieu 1992)
- Inklusion und Exklusion (z.B. Luhmann 1987)
- Lokaler Verwurzelung und globaler Vermarktung (z.B. Rosa 2016)
Mein Vorhaben, vielleicht sogar Lebensprojekt kombiniert empirische Fallstudien mit theoretischen Zugängen aus Soziologie, Sozialpsychologie und Wirtschaftswissenschaften, um die Ambivalenz moderner Fankulturen zu entschlüsseln: zwischen ekstatischer Hingabe und kommerzieller Vereinnahmung, zwischen subkulturellem Widerstand und systemischer Einbindung.
Theoretische Schärfung
In diesem Projekt kommen die von mir geschätzten soziologischen Klassiker:innen zu Wort. Das sind u.a. Elias Zivilisationstheorie (1986) für den Aspekt der Affektregulierung, Bourdieus Kapital- und Feldtheorie (1992) für Machtverhältnisse im Fußball und Rosas Resonanzbegriff (2016) für emotionale Bindungsprozesse. Und es kommen viele weitere Angehörige meiner Zunft zu Wort.
Genaue Auskunft darüber gibt das stetig wachsende Kapitel:
2.2. Theoretisches Rüstzeug.
Einigen mag das wie ein soziologischer Gemischtwarenladen vorkommen. Aber ich bin ein waschechter Soziologe und habe dieses Fach aufgrund seiner Vielfalt studiert gerade wegen seiner Bindestrich-Power anderen Disziplinen und Sichtweisen gegenüber (zB Wirtschafts- oder politischer Soziologie). Und diese theoretische und empirische Offenheit gönne ich auch diesem Projekt.
Empirische Verankerung
Ich arbeite iterativ, entlang den Prinzipien der Grounded Theory. Theorie entsteht nicht im Kopf sondern iterativ auf dem (Spiel-)Feld. Meine empirischen Quellen sind und werden sein:
- Interviews mit Fans und professionellen Personen rund um die Stadien
- Spielberichte und Presseschau
- Pressekonferenzen
- Beobachtungen im und um das Stadion herum
- Selbstreflexion der eigenen Rolle als teilnehmender Beobachter
Da ich – mit bislang nur punktueller personeller Unterstützung – als Einzelkämpfer unterwegs bin, kommt im Projekt KI (transparent) zum Einsatz. Sie nutze ich, um qualitative Daten auszuwerten und zu kodieren und um Literatur schneller sichten, auswählen und exzerpieren zu können. Zudem ist KI die Co-Autorin in diesem Blog. Am Anfang und am Ende sowie dazwischen steht immer (noch eine ganze Menge) menschlicher Arbeit. Zudem braucht es viel Zeit und Energie, geeignete und reliable KI-Agent:innen und Skripte zu programmieren.

Für meine empirische Arbeit habe ich mir bewusst die folgenden Vereine ausgewählt:
Der 1. FC Nürnberg ist für mich mehr als nur ein Fußballverein – er ist ein Sinnbild dafür, dass das Leben gerade (sic!) keine Erfolgsgerade ist. Als empirisch ausgebildeter und denkender Soziologe, der heute in der Karriereberatung arbeitet, denke ich gerne in Verteilungen: Erfolge und Misserfolge sollten in jedem Leben normalverteilt sein. In manchen Lebensphasen aber schiebt sich die Verteilungskurve von Freud und Leid in Schieflagen nach links oder rechts. Diese auszuhalten / zu genießen muss man lernen. Schon lange bevor ich Statistik im Rahmen der Soziologie studierte, hat mich der Club als Verein getroffen. Fahrstuhlvereine wie der 1. FCN verwöhnen ihre Fans nicht mit permanentem Triumph, sondern lehren Demut, Geduld und die Fähigkeit, auch im Scheitern Haltung zu bewahren. Deshalb feiert die Nordkurve in Nürnberg Siege nach Durststrecken in der zweiten Liga, als wäre es der Europapokal. „Eurobbabogahl, Eurobbabogahl“ schallt es dann auch durch die Ränge, wenn nach Wochen ohne Erfolg endlich ein Dreier gelingt oder der ewige Rivale Fürth im ältesten Derby besiegt wird. Gerade diese Mischung aus Leiden, Sehnsucht und punktueller Ekstase macht den Club für mich soziologisch spannend und existenziell bedeutsam.
Ich habe mir auch die Frauenmannschaft des 1. FC Nürnberg ausgesucht, weil sie für Vieles steht, was mir in meiner Forschung und meinem persönlichen Engagement wichtig ist. Zum einen will ich selbst im Kleinen dazu beitragen, dass Frauenfußball mehr Sichtbarkeit bekommt und Fragen der Geschlechtergerechtigkeit nicht nur theoretisch diskutiert, sondern praktisch gelebt werden. Der Aufstieg in die erste Liga war ein starkes Signal der Frauenmannschaft an die Clubszene. Die Spielerinnen haben sich ihren Platz im Profifußball erkämpft, und doch verdienen sie nur einen Bruchteil dessen, was die Männer einstreichen. Gerade als Soziologe interessiert mich, warum sich diese massive Ungleichheit im Fußball so hartnäckig hält – während die Gesellschaft insgesamt zumindest vorgibt, auf Gleichstellung hinzuwirken. Mich fasziniert zudem, wie attraktiv Frauenfußball auf dem Platz ist: spielerisch kreativ, taktisch, atmosphärisch nahbar. Und gleichzeitig sehe ich – auch hier! – eine enorme Doppelbelastung, der die Spielerinnen ausgesetzt sind: Profifußball, berufliche Karriere und am Ende oft auch familiäre Verantwortung. In diesem Spannungsfeld interessiert mich auch, ob queere Lebensentwürfe und Gegenöffentlichkeiten in dieser Fußballwelt sichtbarer sind – und ob sie dort anders als in der Gesellschaft nicht problematisiert, sondern selbstverständlicher Teil der Fankultur und Mannschaft sind.
Die U23 des 1. FC Nürnberg habe ich mir ausgesucht, weil sie für mich eine wichtige Brücke zur Profimannschaft darstellt. Wenn die „Großen“ wieder einmal verlieren, ist es oft die U23, die mir Trost spendet: Hier sehe ich junge Spieler, die noch voller Hoffnung und Leidenschaft sind, noch nicht von der Routine und dem Druck der ersten Liga geprägt. Gerade beim FCN fasziniert mich, dass der Verein traditionell einer der Orte ist, an dem Talente aus der eigenen Jugend die besten Chancen haben, den Sprung in den Profifußball zu schaffen. Diese Eigengewächse sind für mehr als nur Nachwuchs – sie verkörpern das Versprechen, dass aus dem Verein selbst heraus immer wieder neue Geschichten entstehen. In der U23 verdichtet sich dieses Versprechen, und deshalb schaue ich dort hin.
Die SpVgg Bayreuth, die „Oldschdod“, habe ich mir ausgesucht, weil sie meiner Heimat (Pegnitz) am nächsten ist. Zudem ist die semiprofessionelle Regionalliga als Schwelle zum Profifußball spannend. Hier zeigt sich, wie stark regionale Identität, Traditionsbewusstsein und eine gewisse sture Eigenständigkeit im Fußball zusammenfließen. Bayreuth ist in erster Linie Wagnerstadt und kein schillernder Ort des geldreichen Profifußballs. Mich interessiert, wie ein Verein, der zwischen Regionalliga und 3. Liga pendelt, seine Anhänger:innen bindet – gerade in einer Region, in der die großen Namen aus Nürnberg oder Fürth übermächtig wirken. Die „Oldschdod“ symbolisiert für mich das Festhalten an lokalen Werten, an einer Bodenständigkeit, die auch gegen ökonomische Widrigkeiten bestehen will. Als Soziologe reizt es mich zu beobachten, wie hier Gemeinschaft gestiftet wird, wie Fans den Verein tragen und wie trotz sportlicher Höhen und Tiefen ein starkes „Wir-Gefühl“ entsteht.
Den SSV Jahn Regensburg habe ich mir ausgesucht, weil er für das ständige Pendeln zwischen Hoffen und Bangen steht, das die dritte Liga so einzigartig macht. Sportlich und finanziell ist der Verein nah dran an den Geldtöpfen der DFL, und doch bleibt er im Vergleich zu den Großen „arm dran“. Gerade diese Zwischenposition macht ihn spannend: Mal in der zweiten Liga, mal zurück in der dritten, immer wieder als Underdog ins Rennen geschickt, verkörpert der Jahn eine Mischung aus Pragmatismus und oberpfälzischem Dickschädeltum. Für mich zeigt sich hier, wie Fußballkultur auch jenseits des Glamours funktioniert – mit Fans, die sich an ihrer Verwurzelung in der Oberpfalz festhalten, und mit einer Mannschaft, die ständig an Grenzen stößt und sie doch immer wieder überschreitet.
Der FC St. Pauli gefällt mir, weil er wie kaum ein anderer Verein zeigt, dass Fußball mehr sein kann als Ergebnisdienst. Mich reizt die Verbindung aus klarer Haltung (antifaschistisch, antirassistisch, queer-freundlich) und gelebter Fankultur am Millerntor: transparent, laut, politisch – und doch einladend. Und dennoch ist die Marke des Vereins perfekt kapitalisiert. Als Soziologe interessiert mich, wie sich dort Gegenöffentlichkeiten organisieren, ohne zur bloßen Folklore zu werden, und wie Partizipation, Inklusion und Kommerzialisierung in der Praxis austariert werden. St. Pauli ist für mich ein Labor: Können Vereine soziale Verantwortung mit sportlichem Erfolg und wirtschaftlicher Vernunft verbinden? Genau an dieser Reibungsfläche zwischen Anspruch und Alltag will ich lernen – im Kontrast zu Traditionsvereinen wie dem Club und den Underdogs aus meiner Region.
Die Bohemians Dublin habe ich mir ausgesucht, nicht nur weil ich Dublin liebe, sondern weil sie auf mich wie eine gelungene Mischung aus Nürnberg und St. Pauli wirken – ein Verein mit Herz, Haltung und Verwurzelung im Stadtteil. In Irland sind sie der klare Underdog gegenüber den finanzstarken Shamrock Rovers, und gerade diese Rolle macht sie interessant. Mich fasziniert die alternative Szene rund um die Bohs: ein Umfeld, in dem Fußball eng mit Kultur, Musik und sozialem Engagement verbunden ist. Besonders spannend finde ich, dass der Club fan-owned ist, also den Mitgliedern gehört und damit eine echte Gegenposition zu den durchkommerzialisierten Vereinen Europas darstellt. Hinzu kommt ihre Stadtteilarbeit in Phibsborough, wo soziale Initiativen, Integration und Nachbarschaftspflege genauso wichtig sind wie das Spiel auf dem Platz. Für mich ist das ein Verein, der zeigt, wie Fußball gelebte Demokratie und lokale Identität sein kann.
Crystal Palace ist für mich der Verein, mit dem ich in der Premier League mitfiebere – finanziell erfolgreich an den unfassbar vollen Geldtöpfen der Englischen Profiligen, aber dann eben doch nicht ein Verein, den die Buchmacher:innen als Titeljäger auf dem Zettel haben, wie Liverpool oder Manchester City. Mich reizt an Palace gerade, dass sie nicht nur Geld in Übermaß sondern auch Höhen und Tiefen kennen, dass sie nicht im Dauerlicht der Trophäen stehen, sondern sich diesen Platz immer wieder neu erkämpfen müssen. Der Club spiegelt eine Fankultur wider, die trotz Rückschlägen stolz und laut bleibt, getragen von der legendären Atmosphäre im Selhurst Park. Für mich ist Palace so etwas wie mein „Erfolgsverein“: nicht makellos und übermächtig, sondern verletzlich, menschlich und dadurch viel nahbarer.
Den FC Südtirol habe ich mir ausgesucht, weil er für mich seit vielen Jahren mit persönlichen Erinnerungen verbunden ist – Südtirol ist seit zwei Jahrzehnten meine Urlaubsregion. Gleichzeitig ist der Verein soziologisch spannend, weil er nicht nur auf den Trikots ein Marketingprodukt der Region ist: ein Aushängeschild, das Tourismus, Identität und Sport miteinander verbindet. Anders als bei Leipzig geht es hier jedoch nicht um das Branding eines Unternehmens, sondern um die Sichtbarkeit einer ganzen Region. Mich interessiert besonders die Frage, wo die Fans dieses Clubs fußballkulturell verortet sind: Fühlen sie sich eher Deutschland, Österreich oder Italien zugehörig, oder schaffen sie ein eigenes hybrides Selbstverständnis? Und was bedeutet Lokalpatriotismus in einem Gebiet, das seit jeher zwischen Sprachen, Kulturen und Nationen vermittelt? Für mich ist der FC Südtirol ein Labor, um zu verstehen, wie Fußball Zugehörigkeit und Differenz in einer Grenzregion neu aushandelt.
Der Bologna FC ist für mich ein Verein, der ähnlich wie Crystal Palace erfolgreich ist – aber nicht immer, nicht kontinuierlich, sondern in Wellenbewegungen, die ihn spannend machen. Mit seinem Namen verbinde ich sofort auch die Bologna-Reform, die meinen eigenen Bildungs- und Arbeitsweg und die europäische Hochschullandschaft geprägt hat. In diesem Sinn steht Bologna für mich nicht nur für Fußball, sondern auch für die Idee von Bildung, Austausch und Öffnung. Der Verein selbst ist eingebettet in eine Stadt, die seit Jahrhunderten als liberale Universitätsstadt gilt, mit einer starken linksliberalen Tradition. Mich interessiert deshalb, wie sich diese politische und akademische Kultur in der Fankultur des Clubs spiegelt: Gibt es dort andere Diskurse, andere Selbstverständlichkeiten als in konservativeren Regionen Italiens? Für mich ist Bologna FC damit nicht nur sportlich, sondern auch gesellschaftlich ein Symbol für Aufbruch, Debatte und gelebte Liberalität.
Die Urawa Red Diamonds habe ich mir ausgesucht, weil ich den Blick bewusst über Europa hinaus weiten möchte. Fußball in Asien folgt eigenen Logiken, und schon die ersten Eindrücke der Vereinswelt faszinieren mich: Die offizielle Webseite wirkt – auf mich – wie ein schwer zu durchdringendes Manga-Universum, in dem Fußballästhetik mit japanischer Popkultur verschmilzt. Gerade das macht den Zugang spannend, weil hier Bilder, Symbole und Narrative anders gesetzt sind als in der europäischen Fußballkultur. Urawa steht zudem für Ruhm und Perfektion in der Inszenierung: Die Fans sind bekannt für ihre choreographische Präzision, die weltweit ihresgleichen sucht. Mich interessiert, wie diese Ästhetik zwischen Disziplin, Kollektivgeist und Emotionalität funktioniert – und was sie über japanische Gesellschaftsbilder im Fußball verrät.
Die AS Saint-Étienne geriet in den Forschungsfokus weil sie für mich wie ein französisches Spiegelbild des 1. FC Nürnberg wirkt. Früher ein großer Titeljäger, tief verwurzelt in einer starken Arbeitertradition, heute in der zweiten Liga – ein Verein, der von seiner Geschichte lebt und gleichzeitig mit den Härten der Gegenwart ringt. Mich reizt daran besonders die Verbindung von Fußball und Industriegeschichte, die Erinnerung an die großen Jahre in einer Region, die einst das Herz der französischen Schwerindustrie war. Saint-Étienne ist für mich aber nicht nur ein Fußballort, sondern auch kulturell anziehend: Die Sprache, die Landschaft und meine persönlichen Urlaubsbezüge machen die Region für mich zu einem Ort, an dem ich Leidenschaft und Forschung verbinden kann. Der Verein verkörpert genau diese Mischung aus Nostalgie, Arbeiterstolz und Sehnsucht nach neuer Größe – Ruinenlust -, die ich auch beim Club in Nürnberg so schätze.
Den IFK Göteborg habe ich mir ausgesucht, weil Schweden für mich nach Südtirol zum zweiten Sehnsuchtsort geworden ist – nicht zuletzt, weil ich selbst Schwedisch lerne und mich dieser Sprache und Kultur immer stärker verbunden fühle. Der Verein steht in meinen Augen für die enge Verknüpfung von Fußball, Gesellschaft und Wohlfahrtsstaat: Als Soziologe denke ich hier sofort an Esping-Andersen (1990) und das skandinavische Sozialstaatsmodell, das meiner eigenen Haltung am nächsten kommt – geprägt von Gleichheit, Solidarität und einem hohen Maß an sozialer Sicherheit. IFK Göteborg verkörpert für mich diese Werte auch im Fußball: ein Verein, der tief in der Stadt verwurzelt ist, auf Gemeinschaft setzt und zugleich sportlich Strahlkraft weit über Schweden hinaus entfaltet. In meiner Forschung wie in meiner persönlichen Leidenschaft symbolisiert Göteborg damit die Verbindung von sozialdemokratischer Gesellschaftsordnung und Fußballkultur.
Brøndby IF habe ich mir ausgesucht, weil der Verein für mich eine weitere Facette Skandinaviens verkörpert – einer Region, die ich als Ganzes liebe. Kopenhagen gehört zu meinen Lieblingsstädten, und Brøndby steht wie IFK Göteborg für ein Fußballverständnis, das stark in Gemeinschaft, Solidarität und Gleichheit verwurzelt ist. Mich interessiert, wie sich diese dänische Variante der skandinavischen Fußballkultur zeigt: weniger vom großen Geld geprägt, dafür mit einer leidenschaftlichen Fankurve (gelbe Wand wie in Dortmund), die Nähe und Authentizität lebt. Für mich ist Brøndby IF deshalb nicht nur ein Verein, sondern auch ein Ausdruck dessen, warum Skandinavien für mich insgesamt ein Sehnsuchtsraum ist – kulturell, gesellschaftlich und eben auch fußballerisch.
Die Orlando Pirates habe ich mir ausgesucht, weil sie mir einen Zugang zu Fußballkulturen jenseits des europäischen Blicks eröffnen – und damit zu Momenten der Dekolonialisierung im Stadionalltag. Als Club aus Soweto steht „Pirates“ für eine Fankultur, die aus Township-Erfahrungen gewachsen ist und bis heute eigene ästhetische, sprachliche und politische Ausdrucksformen pflegt: Gesänge in mehreren Sprachen, Trommeln und Choreografien, die nicht europäische Vorbilder kopieren, sondern lokale Rhythmen und Geschichten fortschreiben. Im Umfeld des Soweto-Derbys wird Zugehörigkeit performt, die koloniale Hierarchien unterläuft: Stolz auf das eigene Viertel, auf schwarze Urbanität, auf eine Spielweise, die nicht als „Abweichung“ von europäischen Normen verstanden wird, sondern als eigener Maßstab. Dekoloniale Momente lassen sich hier beobachten, wenn Fans Symbole und Narrative selbst setzen (vom Totenkopf bis zu Pan-Afrika-Referenzen), wenn Community-Projekte den Club als sozialen Akteur verankern und wenn Karrierewege von Spieler:innen nicht nur als „Export in den Norden“, sondern als zirkulierende afrikanische Fußballökonomien gelesen werden. Für mich ist Pirates damit ein Labor dafür, wie Fußball Erinnerungspolitik, Selbstbehauptung und Zukunftsentwürfe nach der Kolonialzeit sichtbar macht.
Hapoel Tel Aviv wähle ich, weil der Verein – ähnlich wie die Bohs und St. Pauli – eine politisierte, urbane Fankultur verkörpert, die Fußball als soziale und politische Praxis begreift. Historisch im linken Milieu verankert, steht Hapoel für Solidarität, Antirassismus und eine klare Haltung gegen Diskriminierung. Mich interessiert, wie Protest in einem hochsensibilisierten Umfeld konkret aussieht: von Gesängen und Bannern über Community-Projekte bis zu symbolischen Gesten im Stadion – und wo genau die Grenze verläuft, weil Sicherheitsauflagen, Verbandsrecht und gesellschaftliche Spannungen den Rahmen eng ziehen. Zugleich frage ich, wie sich die besondere Lage Tel Aviv–Jaffa im Verein spiegelt: Spielen israelisch-arabische Spieler:innen eine sichtbare Rolle? Wie fühlen sich arabische Fans im Block – als Teil einer gelebten Gegenöffentlichkeit oder als Ausnahme unter Vorbehalt? Für mich ist Hapoel ein Prüfstein dafür, wie weit politischer Fußball im Nahostkonflikt reichen kann, ohne zur bloßen Pose zu werden – und wie Vereine und Fans Räume aushandeln, in denen Zugehörigkeit, Dissens und Sicherheit gleichzeitig möglich sind.
Die GAA Galway (Hurling) habe ich mir als Kontrastprogramm ausgesucht, weil ich die Region um Galway liebe – und weil Hurling mir zeigt, wie groß Sport ohne große Märkte sein kann. Wenn in Irland 60.000 Menschen ins Stadion strömen, spürt man eine traditionsgeladene, gemeinschaftliche Energie eines Nationalsports, der professionalisiert aber weit weg ist von der Kommerzialisierung des Fußballs. Davon träumen nicht nur die Ultras Nürnberg. Es gibt keine Transfers, keine Spielergehälter, keine Shopping-Fenster – stattdessen zählt Herkunft, Vereinsbindung und das County-Prinzip. Für mich ist Galway Hurling daher ein Gegenentwurf zum europäischen Profifußball: ein Sport, der Identität aus Nachbarschaften und Tradition schöpft und mich daran erinnert, warum ich Sport überhaupt erforsche – weil er Zugehörigkeit stiftet, ohne sie zu verkaufen.

Zwischen Affekt und Analyse – Fußball als soziologisches Labor
Fußball ist für mich nicht nur ein Untersuchungsgegenstand, sondern ein sozialwissenschaftlicher Resonanzraum, in dem sich gesellschaftliche Dynamiken, Affekte und Werte verdichten. Jeder der bewusst und ohne Anspruch auf Vollständigkeit ausgewählten Vereine steht exemplarisch für ein anderes Momentum dieses großertigen Spiels: Aufstieg und Fall, Tradition und Erneuerung, Protest und Kommerz, Zugehörigkeit und Entfremdung. Indem ich mich diesen unterschiedlichen Kontexten nähere – von Nürnberg bis Dublin, von Göteborg bis Johannesburg –, will ich verstehen, wie Menschen über Fußball Sinn, Identität und Gemeinschaft herstellen.
Das Projekt ist damit kein klassisches Forschungsdesign, sondern eine Bewegung zwischen qualitativer Empirie und theoretischer Selbstreflexion, zwischen LEIDENschaft und Distanz. Als Soziologe interessiert mich, wie kollektive Emotionen strukturelle Bedingungen spiegeln – und wie sich in der Liebe zum Spiel zugleich soziale Ungleichheit, politische Haltung und kulturelle Differenz zeigen. Fußball wird so zum Spiegel des gesellschaftlichen Ganzen: ein Ort, an dem Hoffnung, Enttäuschung, Solidarität, Kapital und Macht nebeneinander existieren.
Ich untersuche den Fußball, weil er mich oft „trifft“ – emotional, intellektuell, biografisch. Und vielleicht ist genau das die produktivste Form soziologischer Forschung.
Literatur
- Elias, N. (1986). Über den Prozess der Zivilisation. Frankfurt. Suhrkamp.
- Esping-Andersen, G. (1990). The Three Worlds of Welfare Capitalism. Cambridge.
- Bourdieu, P. (1992). Die feinen Unterschiede. Frankfurt. Suhrkamp.
- Rosa, H. (2016). Resonanz. Frankfurt. Suhrkamp.

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