Fußball ist mehr als ein Spiel – er ist im Sinne Rosas (2016) ein Resonanzraum, in dem sich kollektive Affekte entfalten, die weit über den Sport hinausweisen. Die Leidenschaft der Fans, das Leiden an Niederlagen, der ekstatische Jubel beim Tor: All dies macht den Fußball zu einem sozialen Schmelztiegel, in dem sich gesellschaftliche Grundfragen verdichten. Dieses Projekt versteht Fußball als soziologisch höchst relevantes Phänomen, an dem sich die Wechselwirkungen zwischen Emotionen, Macht und Gemeinschaft exemplarisch analysieren lassen.

Einige Leitfragen der Untersuchung
- Wie entstehen affektive Gemeinschaften in Fankulturen?
- Wie werden Affekte kontrolliert oder kanalisiert – von Selbstregulation bis zu staatlichen Sicherheitsstrategien?
- Welche Gegenöffentlichkeiten bilden sich in heteronormativen, kommerzialisierten, männlich dominierten Fußballwelten?
- Wie wirkt sich die Kommerzialisierung auf lokale Fankulturen aus?
Diese und andere im iterativen Forschungsprozess entstehende Fragen werden in Anlehnung an die theoretische Logik der Coleman’schen Badewanne (1990) untersucht, die Mikroebene (z.B. Fanpraxis), Mesoebene (z.B. Vereine/Fanclubs) und Makroebene (z.B. Politik / Ökonomie / Medien) verbindet.
Sozialwissenschaftliche Rahmung der Projektidee:
Soziologische Relevanz
Fußball bietet einen einzigartigen sozialwissenschaftlichen Zugang zu kollektiven Emotionen und sozialen Zugehörigkeiten. Wie Elias (1986) zeigte, ermöglicht der Sport eine Art kontrollierter Entgrenzung der Affekte – besonders sichtbar in Fankurven, die zugleich Orte der Gemeinschaft und Abgrenzung, der Inklusion und Exklusion sind. Hier wird die Dialektik von Freisetzung und Disziplinierung von Affekten (Elias 1987, Foucault 1983) besonders deutlich.
Methodologische Innovation
Im Projekt arbeite ich mit der Grounded Theory (Glaser & Strauss 1967), um Theorie „aus den Daten heraus“ zu entwickeln. Clarke (2012) betont dabei die Notwendigkeit eines von Anfang an bis zur Publikation offenen, reflexiven Forschungsprozesses. Innovativ ist die Ergänzung durch KI-gestützte Verfahren. An anderer Stelle dieses Projekts diskutiere ich eine mögliche „Sternstunde der qualitativ-empirischen Sozialforschung“. Denn KI – richtig, bewusst und sauber dokumentiert eingesetzt – ermöglicht die Sammlung, Auswertung, Kodierung und Verdichtung von qualitativen Daten in einem Umfang, der bislang den quantitativen Methoden vorbehalten war.
Theoretische Rahmung
Das Projekt ist zudem konstruktivistisch motiviert (i.S. Charmaz 2014): Wissen entsteht im Dialog zwischen Forscher:in und Feld. Vier thematische Schwerpunkte strukturieren meine Analyse:
1. Affekte und Affektkontrolle
Wie werden Affekte in Fankulturen kollektiv erzeugt, verstärkt oder gebremst?
- z.B. im Sinne Elias (1987): Affektkontrolle als „Kernmoment des Zivilisationsprozesses“
- oder Fußball als Raum, in dem Affekte mal freigesetzt, mal diszipliniert werden (Foucault 1983)
1.1.3 Affekte und Affektkontrolle↗
2.1 Affekt und Affektkontrolle↗
Affektäußerung ↔ Kontrolle ↔ Widerstand↗
2. Gegenöffentlichkeiten und Diversität
Wie artikulieren u.a. queere, feministische oder migrantische Fans ihre subalternen Gegenöffentlichkeiten (Habermas 1990)?
- z.B. Fraser (1990): Herausforderung hegemonialer Diskurse (z.B. mit Regenbogenfahnen, in alternativen Fanzines, Choreografien)
3.3 Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit↗
Gender/Queerness ↔ Exklusion ↔ Gegenöffentlichkeit↗
3. Kommerzialisierung und Affektökonomien
Wie verändert die Kommerzialisierung die Beziehung zwischen Vereinen und Fans?
- Bourdieu (2008): Affektives Kapital als Währung jenseits von Geld
- Piketty (2014): Ungleiche Kapitalströme im modernen Fußball
Kommerzialisierung ↔ Widerstand: Vermarktung von Emotionen ↔ ironische oder subversive Fanpraktiken↗
Kommerzialisierung ↔ Authentizität ↔ Subkultur↗
Kommerzialisierung/Ökonomisierung: Wenn Gefühle zur Ware werden↗
4. Globale Dimensionen
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zeigen Fankulturen weltweit?
- z.B. Santos & Ruvituso (2024): Überwindung des „methodologischen Nationalismus„
- oder Fußball als exemplarisches Feld globaler Verflechtungen (Spielertransfers, Medienmärkte)

Methodische und theoretische Ziele
Das Projekt bewegt sich im Spannungsfeld von Affektsoziologie, Fanforschung und globaler Theoriearbeit. Es leistet zugleich einen Beitrag zur Methodendiskussion:
- Wie lassen sich qualitative Forschung und KI sinnvoll kombinieren?
- Wie kann Theoriebildung als erlernbare Praxis (Swedberg 2014) begriffen werden?
- Empirische Fallstudien zu bewusst ausgewählten Fussballvereinen (in Kontrast zum weniger kommerziellen Hurling) untersuchen, ob es den idealtypischen Fan gibt – oder ob Fankultur immer ein plurale und widersprüchliche Praxis bleibt.
1.2 Methodischer Rahmen: KI meets Grounded Theory↗
1.2.2 KI: Sternstunde der qualitativen Sozialforschung?!↗
Literaturverzeichnis
- Bourdieu, P. (2008). Die Regeln der Kunst. Frankfurt: Suhrkamp
- Charmaz, K. (2014). Constructing Grounded Theory. Thousand Oaks. Sage.
- Clarke, A. E. (2012). Situational analysis. Thousand Oaks. Sage.
- Coleman, J. S. (1990). Foundations of social theory. Belknap Press.
- Elias, N. (1986/1987). Über den Prozess der Zivilisation. Suhrkamp.
- Foucault (1977). Überwachen und Strafen. Frankfurt: Suhrkamp.
- Fraser, N. (1990). Rethinking the public sphere. Social Text, 25/26, 56-80.
- Habermas, J. (1990). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Frankfurt. Suhrkamp
- Piketty, T. (2014). Das Kapital im 21. Jahrhundert. München. C.H.Beck
- Rosa, H. (2016). Resonanz. Suhrkamp.
- Santos, B. de S. & Ruvituso, M. P. (2024). The end of the cognitive empire. Duke UP.
- Swedberg, R. (2014). The art of social theory. Princeton UP.
Forschungstagebuch
Theoretische Vertiefung
- Verbindung zum Konzept der „binären Diktatur“ herstellen.
- Goffmans Inszenierungsbegriff für das Stadion als kleine „Bühne“ der großen Welt?
Empirische Anknüpfung
- Aktuelle Beispiele einarbeiten (z.B. Ultra-Proteste 2024, VAR-Debatten)
- Persönliche Forschungserfahrungen reflexiv einfließen lassen.
Strukturvorschlag
- Forschungsfragen präziser formulieren (z.B.: Führt Digitalisierung zu einer Entemotionalisierung ehemals authentischer Fanaffekte?“)
- Methodenteil um konkrete KI-Tools ergänzen (Agenten, Codes und Skripte)

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